© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Technische Vorbereitung sowie rechtliche und praktische Durchführung aus Sicht eines Austrittslandes
Der Fahrplan eines Euro-Austritts
Dirk Meyer

Die aktuelle Inflationsbekämpfung durch zu erwartende weitere Zinsanstiege gefährdet den Kreditzugang der mediterranen Länder. Eine weitere akute Eurokrise könnte drohen, die im Falle Italiens einen Euro-Austritt oder gar ein chaotisches Auseinanderbrechen der Eurozone möglich werden läßt. Dabei bedarf der Austritt aus der Eurozone der gründlichen Planung und Vorbereitung. Technische Barrieren erschweren die Einführung einer nationalen Währung in kurzer Frist. So müssen Automaten umgerüstet, Bankkonten umgestellt und die neue Währung physisch produziert und verteilt werden.

Zwar würde eine längerfristige Ankündigung und eine breite Information über die geplante Währungsumstellung, ähnlich der Euro-Einführung mit einem Vorlauf von drei Jahren, die Akzeptanz in der Bevölkerung fördern. Der Zeitfaktor ist jedoch im aktuellen Fall für die gelingende Einführung ganz wesentlich. Dies gilt sowohl für eine Neuwährung mit Aufwertungserwartungen (Deutschland), die einen (illegalen) Zustrom von Euro erwarten läßt, wie auch für eine abwertungsbedrohte Neuwährung (Italien, Griechenland), die sich der Kapitalflucht und dem Entzug von Euro-Guthaben im Vorfeld der Währungsdesintegration stellen muß. Den Bürgern und Unternehmen sollte deshalb möglichst wenig Zeit für antizipative, die Umstellung behindernde Anpassungen bleiben.

Als ersten Schritt müßte die Bundesregierung zum Wochenende einen Bankfeiertag für den folgenden Montag verkünden. Eine Verordnung, die entsprechende Einzelheiten näher ausführt, bedarf jedoch einer gesetzlichen Grundlage. Da die Verabschiedung eines neuen Gesetzes den Überraschungseffekt zunichte machen würde, müßte auf bestehende gesetzliche Grundlagen zurückgegriffen werden. Denkbar wäre eine Verordnung der Regierung zum Geldwäschegesetz. Die drei Tage von Samstag bis Montag wären zur Vorbereitung einer möglichen Währungsumstellung sowie zur Erfassung der Salden auf den Giro- und Sparkonten zum Stichtag zu nutzen. Mit der Schalteröffnung am Dienstag wären Inländer aufgerufen, bei Vorlage ihrer Bargeldbestände diese mit einer magnetischen Tinte stempeln zu lassen. Eine Alternative bot die erfolgreiche Beendigung der Währungsunion zwischen der Tschechischen und der Slowakischen Republik 1993. Dort wurden die Banknoten tschechischer Bürger mit einer Wertmarke beklebt, um diese Kronenscheine von dem zuströmenden slowakischen Bargeld unterscheidbar zu machen. Die Wertmarken wurden zuvor unter Geheimhaltung in Großbritannien hergestellt. Sollte eine sofortige Bereitstellung in geheimer Vorarbeit unmöglich sein, könnte gegebenenfalls die Deutsche Post AG angewiesen werden, eine noch nicht in Umlauf befindliche Wertmarke für diesen Zweck auszuliefern.

Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt dürfte sich auf dem Schwarzmarkt ein Schatten-Devisenkurs zwischen dem Euro und einer noch nicht existierenden, aber erwarteten Neuwährung bilden. Um voreilende Kapitalbewegungen aufgrund von Aufwertungserwartung einer möglichen Neuwährung und den Zustrom von „gebietsfremden“ Euro aus den Krisenstaaten auszuschließen, sollten in jedem Fall kurzfristig zu errichtende Kapitalverkehrskontrollen zwischen dem Austrittsstaat und den verbleibenden Mitgliedern erwogen werden. Zwar sind Beschränkungen des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs generell verboten (Art. 63 AEUV); allerdings können Mitgliedstaaten „Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information [vorsehen] oder Maßnahmen ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind“ (Art. 65 Abs. 1 lit. b AEUV). Dies könnte helfen, illegale Transfers von Bargeld zumindest zu erschweren.

Sodann könnte die Austrittsankündigung offiziell erfolgen. Zugleich würden als Eckdaten die Bezeichnung der neuen Geldzeichen sowie die Vorlage eines Zeitplanes bekanntgemacht. Zeitgleich wären Vorkehrungen für Möglichkeiten einer schnellen privaten und/oder staatlichen Rekapitalisierung von Banken national und gegebenenfalls europaweit zu treffen, um Liquiditätsengpässen oder Abschreibungsbedarfen von Finanzinstituten und Versicherungen entgegentreten zu können. Mit der Einführung einer „Neuen Deutschmark“ (NDM) oder eines „Nord-Talers“ (NT), zusammen mit anderen stabilitätsorientierten Länder wie den Niederlanden, Österreich, Dänemark und Schweden, wären beispielsweise erhebliche Abwertungsverluste des Finanzsektors der auf Euro lautenden, alten Auslandsforderungen verbunden.

Anschließend müßte die Rückübertragung der auf die EU übertragenen Währungssouveränität auf die ausscheidenden Staaten erfolgen. Sodann müßte ein nationales Währungsgesetz beschlossen werden. Sollte sich die Bundesrepublik statt für die Einführung der ND für einen NT entscheiden, dann müßte der Bundestag die Übertragung der Währungssouveränität (Art. 73 Nr. 4 i. V. m. Art. 88 GG) auf eine Nordeuropäische Zentralbank beschließen. Die drei Lesungen, die erforderliche Abstimmung im Bundesrat, die Gegenzeichnung durch den Bundespräsidenten und die Verkündung im Bundesanzeiger beanspruchen mindestens sechs Tage. Damit ist der Weg frei für einen weiteren Bankfeiertag, an dem die Währungsumstellung der Konten und Bankbilanzen mit dem gesetzlichen Umrechnungsfaktor erfolgt.

Ein wesentliches Problem besteht in den umstellungsbezogenen Kapitalbewegungen. Hierbei ist zwischen der Einführung einer Hart-Währung mit Aufwertungserwartungen (beispielsweise NDM oder NT) und der einer Weich-Währung mit Abwertungserwartungen (beispielsweise der Neä Drachmä, ND) zu unterscheiden. Schon vor Ankündigung einer ND wird ein Ansturm auf griechische Banken zur Auszahlung der Guthaben einsetzen. Es besteht die realistische Gefahr eines Bank-runs, in dessen Folge das griechische Geschäftsbankensystem zusammenbrechen würde. Darüber hinaus könnte es zu einem Übergreifen auf weitere, zahlungsausfallgefährdete Länder kommen. Im Frühjahr 2015 verhinderte die EZB nur durch Notfallkredite auf Rechnung der Griechischen Nationalbank im Umfang von etwa 80 Milliarden Euro den Zusammenbruch des griechischen Bankensektors. Die Griechische Zentralbank müßte die Geldinstitute deshalb anweisen, ausgezahlte Euronoten ab einem Stichtag zu stempeln, um den Umtausch gegen die späterhin einzuführende Drachme-Währung sicherzustellen. Allerdings dürften die griechischen Bürger ihr Euro-Bargeld zurückhalten, um es dem enteignungsgleichen Zwangsumtausch in die abwertungsbedrohte ND zu entziehen. Die EU müßte zeitlich begrenzte Kapitalverkehrskontrollen zulassen, um der Kapitalflucht zu begegnen.

Der konträre Fall ist mit der Erwartung einer relativ stabileren Währung wie einer NDM gegeben. Hier ist mit spekulativen Zuflüssen aus dem Ausland zu rechnen. Insbesondere bei einem vollständigen Auseinanderbrechen der EWU würden die Kapitalströme aufgrund von Differenzen zwischen den gesetzlichen Umtauschkursen und den erwarteten ersten freien Marktkursen sowie den Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Auf- beziehungsweise Abwertungen der einzelnen Währungen zu erheblichen Verwerfungen auf den Geld-, Kapital- und Devisenmärkten führen. Deshalb ist auch unter diesen Umständen eine knappe Ankündigungsfrist des Zeitpunktes und der Bedingungen der Währungsreform mit einer kurzen Umtausch- beziehungsweise Registrierungsperiode zu kombinieren.

Wegen des langen Zeitbedarfs für das Design, die fälschungssicheren Entwürfe (Sicherheitsmerkmale, Identifikation) sowie die Produktion (Ort, Umfang) und die Auslieferung der Banknoten muß die technische/logistische Seite der Bereitstellung der neuen Währung rechtzeitig bedacht werden. Erfahrungsgemäß wäre hierfür ein Zeitbedarf von 18 bis 36 Monaten notwendig. Die zunehmende Verbreitung von elektronischem Geld erleichtert hingegen die Umstellung. Die reibungslose Einführung des Euro-Bargeldes zum 1. Januar 2002 wurde nicht nur durch die marktorientierte Festsetzung der nationalen Umtauschkurse und den Ausschluß von Wechselkursänderungs-Erwartungen gefördert, sondern auch durch die lange „Latenzfrist“ von Anfang 1999 bis Ende 2001. So konnte die Automatenwirtschaft ab Januar 1999 Testzentren nutzen oder sich Prüfmünzen leihen.

Die graphische Gestaltung und die physische Beschaffenheit des Bargeldes wirken sich auf die Kosten, den Zeitbedarf des Inverkehrbringens sowie auf den Schutz vor Fälschungen aus. Von wesentlichem Einfluß für die Bereitstellung des neuen Bargeldes ist die Entscheidung, ob die Banknoten und Münzen als völlige Neukonzeption gestaltet werden oder aber als neue Serie in konzeptioneller Anlehnung an die alte Euro-Währung folgen sollen. Im Falle einer Übernahme der alten Grundstruktur würden Größe, Material, Gewicht der Münzen, Sicherheitsmerkmale der Scheine sowie Stückelung gleich bleiben. Dies hätte neben einem Zeit- und Kostenvorteil vor allem auch einen Erfahrungs- und Akzeptanzvorteil. So liegen bezüglich des Euro-Bargeldes langjährige Erkenntnisse hinsichtlich der Robustheit, der Handlichkeit und der Gesundheitsverträglichkeit vor. Während bei einer Neukonzeption die Leseköpfe der Prüfgeräte der Automaten in einem ein- bis eineinhalbjährigen Arbeitsprozeß entwickelt und ausgetauscht werden müßten, reicht im anderen Fall eine nur mehrere Tage bis Wochen dauernde Software-Umstellung. Allerdings zeigte der Ersatz der alten Fünf-Euro-Scheine (2013), daß selbst der Vorlauf von fünf Monaten für die Vorbereitung der Unternehmen keinesfalls eine reibungslose Umstellung garantiert.

Die für eine problemarme Umstellung notwendige lange Vorbereitungsdauer behindert jedoch in keinem Fall die sofortige Einführung der Neuwährung. Das Buchgeld wäre per Umrechnungsfaktor umstellbar. Die alten Euronoten würden bei Stempelung oder einer Etikettierung durch Wertmarken sofort als Neuwährung gelten. Zugleich würden sie entsprechend dem Wechselkurs Neu-/Alt-Währung einen anderen Wert darstellen. Deshalb wird man aufgrund des unterschiedlichen inneren Wertes zweier so unterscheidbarer 50-Euronoten unterschiedlich viele Waren erwerben können. Bei Verwendung einer magnetischen Tinte für die Stempel wäre diese Kennung von den Geldautomaten ebenfalls lesbar und würde in dieser Zwischenperiode lediglich eine Anpassung der Software notwendig machen.

Bei der Planung des Bargeldvolumens ist nicht nur der zu erwartende legale Umtausch der im Austrittsland zirkulierenden Euronoten richtig abzuschätzen, sondern auch ein gegebenenfalls illegaler Zustrom von „gebietsfremden“ Euro zu berücksichtigen. Als hilfreich könnte sich eine nationale Kennung bei der Ausgabe der Euro-Banknoten erweisen. So findet sich beispielsweise bei den durch die Deutsche Bundesbank begebenen Euro-Banknoten ein X als erster Buchstabe der Identifikationsnummer, Griechenland kennzeichnet ein Y. Von daher hatte man bereits bei der Errichtung der Einheitswährung die Bedingungen für eine Renationalisierung des Geldes geschaffen.






Prof. Dr. Dirk Meyer, lehrt seit 1994 Ordnungsökonomik an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Er war 2010 an zwei Verfassungsklagen gegen die Griechenlandhilfe I und den Europäischen Stabilisierungsmechanismus EFSF beteiligt. Zusammen mit Kollegen verfaßte er 2018 den Aufruf „Der Euro darf nicht in die Haftungsunion führen“. Als einer der Hauptbeschwerdeführer gegen die EU-Kreditfinanzierung des Covid-19-Aufbaupakets „Next Generation EU“ schloß er sich 2021 der Klage des „Bündnisses Bürgerwille“ an.

Dirk Meyer: Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise – Band I: Eine Bestandsaufnahme und Band II: Szenarien für die Zukunft des Euro, 2., erweiterte Auflage, Springer Fachmedien Wiesbaden, Wiesbaden 2022. Der nebenstehende Text ist – mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag – ein adaptierter Auszug aus Band II.

Foto: Euro ade: Will ein Land aus der Eurozone austreten, bedarf das der gründlichen Planung und Vorbereitung. Grundsätzlich ist ein solcher Schritt aber möglich.