© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/22 / 24. Juni 2022

Frisch gepreßt

Innere Emigration. Gegenstand der jüngsten Arbeit des Literaturhistorikers Günter Scholdt ist, wie es einleitend akkurat heißt, „die zwischen dem 30. Januar 1933 in Deutschland geschriebene bzw. erschienene nicht nationalsozialistische deutschsprachige Literatur“. Die 68er-Germanistik hat diese Texte umstandslos unter „Faschismus“-Verdacht gestellt. Darin dem Diktum des Exilanten Thomas Mann folgend, die Bücher, die in der NS-Zeit überhaupt gedruckt werden konnten, seien alle wertlos: „Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an; sie sollten eingestampft werden.“ Dem totalitären Denken eines „gnadenlosen Literaturrichters“, das sich hier ausspricht, dessen eigene Werke noch anstandslos bis 1937 in „Nazi-Deutschland“ verlegt werden durften, sind die Besatzungsmächte nicht gefolgt. So ist das meiste von dem, was Scholdt in seinem bunten Strauß ausgewählter Interpretationen von „Schlüsselwerken“ präsentiert, noch mühelos antiquarisch, wenn nicht wie bei Ernst Jünger, Wilhelm Lehmann, Ernst Wiechert oder Felix Hartlaub, sogar im Buchhandel erhältlich. Scholdts Kompendium regt dazu an, diesen immens vielfältigen, reichen Literaturkomplex wiederzuentdecken, der nach 1968 in den „Orkus des Vergessens geschleudert wurde, als handle es sich um eine gezielte kulturhygienische Entsorgung“. (wm)

Günter Scholdt: Schlaglichter auf die „Innere Emigration“. Nichtnationalsozialistische Belletristik in Deutschland 1933–1945. Lepanto Verlag, Rückersdorf 2022, broschiert, 474 Seiten, 29,50 Euro





Dunkle Prominenz. Einer der Tiefpunkte im Verhältnis zwischen Medien und Verbrechen dürfte der 18. August 1988 gewesen sein, als die Geiselnehmer Rösner und Degowski, die tags zuvor bereits zwei Menschenleben auf dem Gewissen hatten, vom WDR-Journalisten Frank Plasberg in der Kölner Fußgängerzone wie Popstars interviewt wurden und der spätere Bild-Chefredakteur Udo Röbel sogar kumpelhaft die Mörder in deren Fluchtauto aus der Stadt lotste. An diese und viele andere Kriminelle, die in der medialen Rezeption zu Legenden verklärt wurden, erinnert die Medienwissenschaftlerin Svenja Müller in ihrer Tour d’horizon von Bonnie & Clyde über Al Capone und Charles Manson bis hin zum englischen Posträuber Ronnie Biggs oder dem Berliner Kaufhauserpresser Arno Funke alias Dagobert. Ist bei letzterem sogar eine gewisse Sympathie für seine Polizei-Narreteien nachvollziehbar, so ist die fast freundschaftliche Nähe, mit der Hollywood-Schauspieler Sean Penn den Drogenboß Joaquín Guzmán im Exklusiv-Interview verklärt oder die Fürsprache Michel Foucaults für den französischen Mehrfachmörder Jacques Mesrine auch mit der Faszination der Menschen für die Aura des Bösen nur schwer erklärlich. (bä)

Svenja Müller: Ikonen des Bösen. Verbrecher als Medienstars. Hansanord Verlag, Feldafing 2022, broschiert, 217 Seiten, 16 Euro