© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Ukraine wird EU-Beitrittskandidat
Nur eine Geste
Albrecht Rothacher

Die Diskussionen um mögliche EU-Erweiterungen sind nicht neu: Schon seit 1999 verharrt die Türkei als EU-Kandidat und wartet auf einen Beitritt, den beide schon längst nicht mehr wollen. Serbien, seit 2012 EU-Aspirant, ist unter Präsident Vucic eher auf der Seite Pekings und Moskaus zu finden als auf jener des Westens. Beim jüngsten EU-Gipfel in Brüssel wetterte auch Albaniens Staatschef Edi Rama (Kandidat seit 2014) gegen eine schmählich versagende EU-Führung. Gerade die Westbalkan-Länder mit ihren klientelistisch regierenden Machtcliquen und korrupten Verwaltungen sollten sich jedoch an die eigene Nase fassen und einsehen, daß sie ohne gründliche Reformen noch Jahrzehnte brauchen werden, bis sie EU-Recht vernünftig umsetzen können. 

Mit der Ukraine ist dies nun ähnlich. Es gibt seit drei Jahrzehnten ein gewaltiges Korruptionsproblem, wo einst Milliarden an Hilfsgeldern spurlos verschwanden und alles käuflich ist: vom Doktortitel bis zum Freikauf vom Wehrdienst. Dazu hat sie im aktuellen Existenzkampf andere Sorgen als eine EU-konforme Verwaltungsreform durchzuziehen. Die Ratsentscheidung war eine willkommene Geste für ein Land, das eigentlich Panzerhaubitzen und Kampfdrohnen nötiger hätte, die aber die zerstrittenen EU-Regierungschefs nichts kostet. Viel wichtiger wäre es, zügig mit allen Kandidatenländern – einschließlich der Ukraine, aber ohne die Türkei – wieder eine Art „Europäischen Wirtschaftsraum“ auszuverhandeln, der als Zollunion eine geeignete Vorbereitung zur Vollmitgliedschaft darstellen würde. Für einen solchen realitätsnahen Schritt fehlt den 27 EU-Staatslenkern jedoch die Vision und der Mut.