© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Ländersache: Berlin
Laßt das Baden lieber sein
Christian Vollradt

Daß der Sommer in der Hauptstadt für ihre Bewohner eine echte Herausforderung sein kann, wußte schon die Schriftstellerin Ina Seidel (1885–1974). „Lieber Gott, die Linden blühn!/ Lieber Gott, was hab ich getan, / daß ich in Mauern leben muß? / Draußen im Land deine Bäume sind grün, / hier hängt alles voller Ruß“, klagte sie in ihrem Gedicht „Juni in Berlin“. 

Heutzutage ist der Ruß zwar weitgehend verschwunden, doch an heißen Tagen staut sich in den Häuserschluchten noch immer die Hitze oft schwer erträglich. Angereichert mit überfülltem Öffentlichen Personennahverkehr oder Staus auf den Straßen (ob mit oder ohne festgeklebte Klima-Protestierer) – das alles zerrt an den Nerven. Wer sich dann wochenends in einem der Freibäder der Stadt abkühlen will, muß wiederum auch dort mit hitzigen Aufwallungen rechnen. Jüngst sorgten Massenschlägereien am Beckenrand für Schlagzeilen. 

Anlaß waren Lappalien wie Spritzer aus einer Wasserpistole. Mal im Stadtteil Steglitz, vergangenen Sonntag in Neukölln, wo einer Frau das Nasenbein gebrochen wurde und später ein Mob von bis zu 250 Personen die alarmierten Ordnungshüter bedrängte. Daß die aggressive Grundstimmung eskalierte, daran gab ein Sprecher der Bäderbetriebe einem ausgefallenen Online-Buchungssystem die Mitschuld. Ein Experte nannte im Fernsehsender RBB immerhin verklausuliert „junge Männer“ mit Affinität zu Imponiergehabe als Hauptverursacher; verwackelte Handyaufnahmen der Prügeleien lieferten dann endgültig die Gewißheit, daß weder die Carl-Philipps noch die Ronnys damit gemeint waren.

Der Präsident des Verbands der Schwimmeister, Peter Harzheim, gab sich angesichts solcher Vorfälle pessimistisch: „Wenn ich das sehe, graut es mir“, sagte er der Bild-Zeitung. Das könne so nicht weitergehen. „Die Badbetreiber müssen aktiver werden und ihr Publikum besser aussuchen“, findet Harzheim. Das sieht auch die Deutsche Polizeigewerkschaft so. Personen strikter kontrollieren, den Zugang stärker begrenzen. Und der Landesvorsitzende Bodo Pfalzgraf meint: „Wenn die Bäder ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, nicht genügend Sicherheitspersonal hinstellen, sollten sie auch die Einsatzkosten übernehmen.“ Öffentliche Bäder seien „Teil der kommunalen Daseinsvorsorge“ und sollten somit „allen Menschen offenstehen“, entgegnet ein Vertreter der Bäderbetriebe. Das sei „anders als in Clubs oder Diskotheken“, in denen Türsteher entscheiden könnten, wer hineindarf und wer nicht.

Faktisch sind dann die Türsteher – unsichtbar – doch vorhanden, denn wer keine Lust auf Streß hat, bleibt freiwillig weg. Familien kann Schwimmeister Harzheim derzeit nicht empfehlen, an Wochenenden ins Freibad zu gehen. Seine eigenen Enkelkinder würde er nicht in solch ein Bad mitnehmen, das „wäre unverantwortlich“. 

Vielleicht können die Kleinen sich mittels Lyrik Abkühlung verschaffen. Und sich wie einst Seidel fragen: „Lieber Gott, in mein Zimmer / scheint jetzt der Mond – / ach, warum hab’ ich immer, / immer in Städten gewohnt?“