© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Rot, aber nicht rosig
Parteitag: Zu den Kernkompetenzen der Linken gehört der innerparteiliche Streit – das haben sie am Wochenende in Erfurt erneut bewiesen
Paul Leonhard

Jetzt also Martin Schirdewan. Der 1975 in der damaligen „Hauptstadt der DDR“ geborene Politikwissenschaftler, Enkel eines hohen SED-Funktionärs, soll die deutsche Linke einen und aus ihrem Jammertal führen. Für ihn stimmten 61,3 Prozent der Parteitagsdelegierten in Erfurt. Und auch die nach dem Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow verbliebene Co-Vorsitzende Janine Wissler darf weiterhin an der Spitze der Partei stehen. Für sie sprachen sich immerhin noch 57,5 Prozent aus. 

Schirdewan ist seit 2017 Europaabgeordneter und seit 2019 Linken-Fraktionschef im Europäischen Parlament, hat also, wie er selbst sagt, Erfahrungen damit, „eine bunte Ansammlung von Linken zu lenken und zu führen“. Und dazu gehört, ihnen all das zu versprechen, was sie hören wollen: Energiepreissenkung, Mietendeckel, Übergewinnsteuer, ein Ende der Nahrungsmittelspekulationen, deutliche Distanz zum Kriegsherrn Putin und gleichzeitige Kritik an den Waffenlieferungen der Nato-Staaten. Vor allem verspricht er den Genossen, daß es mit ihm weder ein „Weiter so“ noch ein „Klein-Klein“ geben wird. Dabei entsteht aus diesem genau jener Humus, aus dem die Linke immer wieder neue Kraft zum Überleben schöpft.

„Demokratisches Eingreifen in die Wirtschaft“

Keine Partei labt sich an ihren eigenen Niederlagen so wie die Linke. Stets wirkte es so, als seien der 2007 aus den Überresten der sozialistischen Einheitspartei und westdeutscher linksradikaler Splittergruppen gegründeten Organisation „die Kämpfe untereinander“ wichtiger als das Engagement für die Menschen. Wissler mahnte daher zum Auftakt des am Wochenende stattgefundenen Bundesparteitags: „Linke Politik muß provozieren, polarisieren und zuspitzen, immer entlang von oben und unten und niemals von unten nach noch weiter unten.“

Die interne Zerstrittenheit ist längst zum Markenzeichen der Partei geworden, die es aber trotzdem geschafft hat, in mehreren Bundesländern in Regierungsverantwortung zu kommen und sogar einen Ministerpräsidenten zu stellen. Dank ihrer Vielstimmigkeit kann sie mit allem aufwarten, was gerade opportun ist: Thesenpapiere zur sozialen Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung, zum Klimaschutz oder zur Geschlechtergerechtigkeit hat sie zuhauf. Die Linke polarisiert zwar, aber nicht wie es Wissler gern hätte, „zwischen uns und dem politischen Gegner“, sondern die eigenen Wähler und Mitglieder.

Zum Forderungskatalog der Partei gehören Verfassungsänderungen und Enteignungen: „Die drohende Klimakatastrophe erfordert ein demokratisches Eingreifen in die Wirtschaft“, sagte Wissler. „Wir brauchen das größte Investitionsprogramm aller Zeiten.“ Dieses soll auch ärmere Menschen absichern, darunter auch alle Personen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen. Wissler, die zum innerparteilichen Lager der sogenannten „Bewegungslinken gehört, spricht von der „konsequenten Klimawende mit sozialer Absicherung“. Die hundert Milliarden Euro zur Ertüchtigung der Bundeswehr sollen natürlich gestrichen werden.

Eindeutig verloren hat den Machtkampf Sahra Wagenknecht, die krankheitsbedingt abwesend war. Daß sie nicht einmal mit Genesungswünschen namentlich bedacht wurde, werteten Beobachter als Signal. Änderungsanträge aus den Reihen ihrer Anhänger, etwa hinsichtlich der Positionierung zu Rußland und der Nato, erhielten keine Mehrheit. Der zu Wagenknechts Lager zählende Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann aus Leipzig (der mit seinem Direktmandat den Fraktionsstatus der Linken im Bundestag sicherte) fiel im Rennen um den Parteivorsitz schon in der ersten Runde durch.

Auf sein Mandat in Brüssel will der Neu-Parteichef Schirdewan nicht verzichten, aber trotzdem „100 Prozent Einsatz und Leidenschaft“ als Parteichef zeigen. Praktisch dürfte das bedeuten, daß Wissler und der neu gewählte Bundesgeschäftsführer Tobias Bank die Basisarbeit machen werden.

Foto: Bundesparteitag der Linkspartei: Vorsitzende Janine Wissler wurde mit einem dürftigen Ergebnis wieder an die Spitze gewählt