© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Reibungslose Regierungsbildung
Schwarz-grünes Bündnis: In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein regiert die CDU künftig mit den Grünen
Jörg Kürschner

Mit Beteiligungen an CDU-Regierungen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben die Grünen ihren Einfluß in den Ländern und indirekt im Bund deutlich vergrößert. Die FDP, Jahrzehnte der „geborene“ Koalitionspartner der Union, mußte die Kabinette in Düsseldorf und Kiel verlassen. Die neuen, alten Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Daniel Günther sehen sich als Repräsentanten einer modernisierten CDU mit einem lagerübergreifenden Politikansatz. Schwarz-grüner Biotop ist angesagt, klare Kante war gestern. 

Dementsprechend entspannt konnte sich CDU-Mann Wüst am Dienstag im Düsseldorfer Landtag der Wiederwahl als Regierungschef des bevölkerungsreichsten Bundeslandes stellen. Die tags darauf geplante Wiederwahl seines Kollegen Günther galt in Kiel als Formsache. In beiden Landesparlamenten können die neuen schwarz-grünen Koalitionen mit satter Mehrheit fünf Jahre regieren. SPD, FDP und in Düsseldorf auch die AfD nehmen auf den harten Oppositionsbänken Platz.

Klimaneutralität ist ein wichtiger gemeinsamer Nenner

Zu Beginn einer gemeinsamen Regierungszeit ist es üblich, daß sich die Koalitionspartner in demonstrativer Harmonie präsentieren. In Düsseldorf findet sich dieser Wohlklang auch im Koalitionsvertrag wieder, der vollmundig „Zukunftsvertrag“ genannt wird. Auf 146 Seiten wird erläutert, daß man „Gegensätze überwinden will, um neue Brücken zu bauen“. „Wir wollen Nordrhein-Westfalen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas machen“, heißt es an anderer Stelle.

Auffällig ist vor allem die Geschmeidigkeit, die die Machtoffensive der Grünen prägt. Die CDU taugt als Bündnispartner, sofern der „geborene“ Koalitionspartner SPD schwächelt. Mit nunmehr elf Regierungsbeteiligungen in 16 Ländern zweifellos ein Erfolgsrezept. In Niedersachsen arbeiten die Grünen an der Wiederauflage eines rot-grünen Bündnisses nach der Landtagswahl im Oktober, das das Land zwischen 2013 und 2017 regiert hat. Die Lust am Regieren ist groß. 

Dabei gestaltet sich die Machtstrategie der Ökopartei pragmatisch. Die Zeiten grundsätzlicher und stets hitziger Parteitagsdebatten über das Ob einer Regierungsbeteiligung sind längst vorbei. Wer spricht noch von den „Fundis“? Jetzt heißt es entschuldigend „Kröten schlucken“, wenn der grummelnden Basis Koalitionskompromisse verkauft werden müssen. So auch in Düsseldorf und Kiel.  

Wüsts grüne Verhandlungspartnerin und künftige Stellvertreterin Mona Neubaur ließ sich darauf ein, daß das Umweltressort zerschlagen und in Land- und Forstwirtschaft aufgehen wird; in den Händen der CDU. In der Innen- und Sicherheitspolitik hat die CDU durchgesetzt, daß Polizisten weiter Elektroschocker benutzen dürfen. Dafür schluckte die Union eine Solarpflicht für Neubauten, die Abschaffung der 1.000-Meter-Abstandsregel für Windräder, den unabhängigen Polizeibeauftragten und die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

CDU und Grüne wollen eine einheitliche Definition von „Clan-Kriminalität“ erarbeiten, da der Begriff Menschen „unter Generalverdacht“ stelle. Streitverdächtig. Wüst, der erst im vergangenen Oktober als Landesvorsitzender zum Nachfolger Armin Laschets gewählt worden ist, hat seine CDU voll im Griff. 99 Prozent Zustimmung zum Koalitionsvertrag gab es auf dem Landesparteitag, 85 Prozent waren es bei den Grünen. Wüst und Neubaur sind inzwischen per du. 

Ähnlich reibungslos vollzog sich die Regierungsbildung in Schleswig-Holstein. Von wegen „Schläfrig-Holstein“. In gerade einmal sieben Wochen einigten sich CDU und Grüne auf einen 249 (!) Seiten starken Koalitionsvertrag. Klimaneutralität bis 2040 versteht sich von selbst, der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien inklusive Windkraft an Land, die Stärkung der inneren Sicherheit sowie die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren sind die Ziele. Zusätzlich wünschen sich CDU und Grüne künftig mehr „Diversität und Gleichstellung“. Ausgedachte Phantasienamen an Universitäten sind auch für die Unionspartei kein Problem mehr: „Wir unterstützen die Hochschulen darin, daß selbstgewählte Namen und Pronomen von Studierenden und Mitarbeitenden rechtssicher erfaßt und genutzt werden“, heißt es im Koalitionspapier.

Auf Drängen der CDU werden auch an der Förde die Ressortzuständigkeiten verändert. Die Landwirtschaft wird vom grün geführten Umweltministerium abgetrennt. Die Grünen haben sich mit dem Weiterbau der Küstenautobahn A20 ebenso wie mit der festen Fehmarnbelt-Querung Richtung Dänemark abgefunden. 

Das nördliche Nachbarland wird auch im neuen Kabinett vertreten sein. Günther konnte Rostocks Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen (parteilos) als neuen Wirtschaftsminister gewinnen. Vorschußlorbeeren für den eloquenten Dänen mit Vollbart ohne deutschen Paß: „Beim Thema Fachkräftemangel ist er genau der richtige Machertyp, der hier auch in Schleswig-Holstein große Akzente setzen wird.“ Daß dem unkonventionell auftretenden früheren Möbelhändler das Scheitern der für 2025 geplanten Bundesgartenschau angelastet wird, blieb unerwähnt. Madsen wird Bernd Buchholz (FDP) ablösen. Nach fünf Jahren Jamaika-Koalition hatte Günther zunächst für eine Fortsetzung des Dreier-Bündnisses geworben, obwohl die CDU nur einen Partner zum Regieren braucht. „Lagerübergreifend“, wie sich die neue CDU-Führung gern definiert. Die FDP hatte das Nachsehen beim Brückenbauer Günther. Der linke CDU-Mann war von der CSU als „Genosse Günther“ geschmäht worden, als er 2018 über mögliche Kooperationen mit der Linkspartei im Osten nachgedacht hatte, „pragmatisch, ohne Scheuklappen“. Lagerübergreifend eben.

Fotos: Schwarz-grüne Koalitionin Schleswig-Holstein um Daniel Günther (CDU): „Selbstgewählte Namen und Pronomen von Studierenden und Mitarbeitenden rechtssicher erfassen und nutzbar machen“; NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Mona Neubaur von den Grünen: Beide Parteien wollen eine einheitliche Definition von Clan-Kriminalität erarbeiten