© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Schreie des Volkes
Orthodoxe Kirche: Neue Gemeinsamkeiten in Nordmazedonien, Serbien und dem Kosovo
Hans-Jürgen Georgi

Es könnte Gottes Sprache sein, in der der Mönch Gott anspricht. Ganz sicher ist es aber die Sprache, die Jesus Christus sprach – Aramäisch. Es soll nur zwei Sänger auf der Welt geben, die heute in dieser uralten Sprache Gott in ihren Gesängen anbeten. Einer von ihnen ist Serafim Bit-Habibi, ein Mönch aus Georgien. Anfang Juni trat er anläßlich der Stadtfeierlichkeiten in der serbischen Stadt Niš auf. Sie waren dem Geburtstag des Kaisers Konstantin vor 1.750 Jahren und seiner Mutter Helena gewidmet. 

Musikalisch war der Auftritt von Serafim zweifellos der Höhepunkt der Feierlichkeiten. Sein Gesang und der seines Chores konnte selbst Nichtgläubigen die (einstige) Größe christlichen Glaubens offenbaren. Auf den Bässen von fünf Männer- und dem Sopran von fünf Frauenstimmen gebettet, schwang sich Serafim in die Höhe, um abzubrechen und sich wieder aufzuschwingen. Eine Vorstellung von dem Gehörten, kann man sich an einigen älteren Beispielen im Internet machen, wenn sie auch mit dem Originalauftritt nicht zu vergleichen sind. Seine Lieder, so Serafim in einem seiner seltenen Interview, seien „der Schrei meiner Seele, der Schrei der Seele meines Volkes, das jeden Tag in Nahen Osten stirbt, nur weil es christlichen Glaubens ist“.  

Kloster Visoki Decani unter strenger Bewachnung 

Dem Auftritt von Serafim war eine Liturgie mit einer Art Prozession vorangegangen, an der über 30 orthodoxe Geistliche mit dem Nišer Bischof Arsenije an der Spitze teilnahmen. Sie liefen aber nicht allein, etwa zweitausend Nišer Bürger folgten ihnen. Ausdruck der starken Verbundenheit der Serbisch-Orthodoxen Kirche mit dem Volk und auch mit dem Staat. Die Musik in diesem Aufzug steuerte eine Kapelle der serbischen Armee bei. So wie auch ein Oberst der Landstreitkräfte an der Liturgie zuvor teilgenommen hatte. 

Vor einem Jahr hatte Bischof Arsenije der in Niš stationierten Fallschirmjägerbrigade die höchste Auszeichnug der Serbisch-Orthodoxen Kirche, den Orden des Heiligen Sava, verliehen. Die Nähe der Serben zu ihrer Kirche drückt sich auch in solchen Nebensächlichkeiten aus, daß die Kirchen auf dem Land meistens unbewacht offenstehen und die Geldscheine für die Kerzen und von den Spenden offen daliegen.

Einhundertfünfzig Kilometer südöstlich von Niš, in der „südlichen Provinz“, wie die Serben das Kosovo immer noch nennen, steht das Kloster Visoki Dečani unter strenger Bewachnung. Ohne Karte oder Navi ist der Weg aus dem Städtchen Dečani dorthin schwer zu finden, weil es nur einen einzigen Hinweis darauf gibt. Kurz vor dem Klostereingang hindern Sperren die freie Fahrt geradeaus. Stacheldraht auf den Mauern und ein Posten der multinationalen Nato-Formation KFOR soll das Kloster vor Angriffen schützen. Nach der Abgabe der Personalausweise tritt man durch ein dickes Mauertor, das darauf hinweist, daß Visoki Dečani seit seiner Einrichtung durch den serbischen König Stefan in den Jahren 1328 bis 1335 gefährdet gewesen ist. Erst recht nach dem Krieg im Jahr 1999, als die Albaner das Kosovo übernahmen. 

Auch die folgenden Jahre, wie 2004, kam es zu Angriffen auf das Kloster. Der letzte Granatenbeschuß datiert vom Jahr 2007, und im Jahr 2016 wurden vier Albaner mit Waffen und Sprengstoff vor dem Kloster festgenommen. Die jetzigen Anfechtungen sind eher indirekter Natur. So hatten die Albaner schon mit dem Bau einer grenzüberschreitenden Straße begonnen, die ganz in der Nähe des Klosters vorbeiführen sollte. Dann wäre es mit der „himmlischen Ruhe“ vorbei gewesen. 

Jetzt liegt die Kirche umgeben von den Gebäuden des Klosters ruhig da. Die Anlage ist sehr gepflegt, wie bei allen Kirchen, ob in Serbien, dem Kosovo oder in Nordmazedonien. Durch das Grün führt ein kleiner, kanalisierter Wasserlauf, der dem nahe gelegenen Bach Bistrica entnommen wird. Einer der Mönche fährt frischgemähtes Gras aus dem Kloster. Die Mönche führen auch die Besucher durch die Kirche. Ihre Wände sind vollständig mit Fresken bedeckt, die vom Leben und Leiden Christi erzählen. Ein Fremdenführer weist eine Touristengruppe aus Belgrad auf eine Seltenheit hin: Christus mit einem Schwert in der Hand. Er sollte damit die Sünden abschneiden, meint der Führer. Angesichts der Geschichte des Klosters könnte es allerdings auch eine andere Bedeutung haben. 

In diesen Tagen erlebten die orthodoxen Christen des Westbalkans auch ein historisches Ereignis, von dem am 24. Mai ein Zettel an allen orthodoxen Kirchen der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje kündete. Der Morgengottesdienst fand an diesem Tag nur in der Domkirche St. Clemens mit dem Patriarchen der Serbisch-Orthodoxen Kirche (SPC) Porfirije und dem Metropolit von Skopje und Erzbischof von Ohrid und Mazedonien (MPC-OA) Stefan statt. Damit war ein weiterer Schritt auf dem Weg zur kirchlichen Selbständigkeit (Autokephalie) der MPC-OA getan. 

„Die Kirche Christi ist das einzige, was sich nicht ändert“

Zwar hatte sie schon 1959 die Autonomie von der „Mutterkirche“ SPC erhalten, 1967 aber, von den Kommunisten unterstützt, die Autokephalie eigenmächtig ausgerufen. Das wurde von den anderen orthodoxen Kirchen nicht anerkannt. Auch die jetzige Art der Anerkennung der Eigenständigkeit ist nicht ganz unumstritten, denn sie wurde zuerst vom Ökumenischen Patriarchat in Instanbul ausgesprochen. 

Ob das allein Rechtsgültigkeit hat, darüber ist sich die orthodoxe Welt nicht einig. Während sich der Patriarch von Konstantinopel, von den slawischen Orthodoxen meist „Carigrad“ genannt, als das Oberhaupt der Orthodoxie betrachtet, sehen einige Kirchen ihn nur als Gleichen unter Gleichen an, und nicht berechtigt, eine Autokephalie auszusprechen. So wird die 2019 von ihm ausgesprochene Selbständigkeit der Ukrainischen Kirche nur von drei der 14 eigenständigen Kirchen anerkannt. Mit der Autokephalie der MPC-OA durch die Anerkennung der SPC ist aber ein langjähriger Zwist einer Lösung zugeführt worden. Dazu sagte der serbische Patriarch Porfirije beim gemeinsamen Gottesdienst in Skopje, in einer Art Tausende Jahre alter Weisheit: „Die Grenzen ändern sich, sie haben sich geändert, und sicher werden sie sich wieder ändern, aber die Kirche Christi ist das einzige, was sich nicht ändert, sie ist ewig, sie ist Säule und Festung der Wahrheit“.

Foto: Prozession orthodoxer Geistlicher in Niš, an der Spitze Bischof Arsenije: Die Armee musizierte dazu