© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Auch Krokodile stoppen Kubaner nicht
USA/Kuba: Über 140.000 kubanische Migranten wurden an der Grenze aufgehalten
Paul Leonhard

Hoch politisch ging es in Mexiko bei der Premiere des Films „Vater der Braut“ über eine bevorstehende Hochzeit innerhalb einer großen kubanisch-amerikanischen Familie zu. Das kommunistische Regime in Kuba könne seinem Volk keine Freiheit geben und es auch nicht ernähren, weswegen die Menschen seit 60 Jahren von der Insel fliehen, brach es aus dem Schauspieler Andy Garcia heraus: „Für mich als Kubaner ist es traurig, diese Menschen leiden zu sehen. Ich bete, daß dieses Regime eines Tages ein Ende findet.“ 

Auslöser für diese Äußerungen ist die Situation Zehntausender Kubaner, die sich gegenwärtig in Mexiko befinden, um von dort aus über die grüne Grenze in die USA zu gelangen. Kuba erlebt gegenwärtig nicht nur die schlimmste Versorgungskrise seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, sondern auch einen Exodus ohnegleichen.

Texas leidet besonders unter dem Druck 

Die Zahl der Kubaner, die vor Armut und Unterdrückung auf der Insel fliehen, hat nach Angaben des Miami Herald den Mariel-Exodus von 1980 übertroffen. Damals hatten 125.000 Kubaner zwischen April und Oktober 1980 den Hafen von Mariel in der Nähe von Havanna verlassen, um vor den sich verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen und den fehlenden Freiheiten unter Fidel Castro, der 1959 an die Macht gekommen war, zu fliehen. Angaben der US-Regierung zufolge seien zwischen Oktober vergangenen Jahres und Mai mehr als 140.000 Kubaner an den US-Grenzen registriert worden. 

Auch am vergangenen Wochenende retteten US-Grenzschutzbeamte des Sektors Miami mit Unterstützung der Luft- und Seeoperationen des US-Zoll- und Grenzschutzes und der US-Küstenwache 38 kubanische Staatsbürger, die auf verschiedenen Inseln in den Florida Keyst mit ihren selbstgebauten Booten gestrandet waren.

Leider würden Migrationsströme oft von politischen Kampagnen ausgenutzt, um bei US-Amerikanern Angst und Mißrauen zu schüren, beklagt die aus Kuba in die USA eingewanderte Schauspielerin Gloria Estefan. Aktuell droht unter dem Ansturm von Flüchtlingen die Stimmung insbesondere in der unmittelbaren Grenzregion zu Texas zu kippen. So sorgte das Gedankenspiel der Facebook-Gruppe „Texans for Closing Border“ für Aufregung. Sie forderte auf, tausend Krokodile in den Grenzfluß Rio Grande zu werfen, um so den Durchzug von Migranten zu stoppen. Flüchtlinge würden nur Probleme in die Region bringen.

Nachdem schließlich die mexikanische Zeitung El Zócalo von einem angeblich zwischen zwei Brücken im Rio Grande gesichteten Krokodil berichtete, enthüllte ein anonymer US-Beamter, daß es zwischen den USA und Mexiko eine neue Vereinbarung gebe, bis zu 100 Kubaner und 20 Nicaraguaner pro Tag aus den drei Orten San Diego, El Paso und Rio Grande Valley auszuweisen. Grundlage bildet ein Gesetz über die öffentliche Gesundheit, das die Ausbreitung von Covid-19 verhindern soll. Denn die Kubaner sind zwar gegen das Virus durch den eigenen Staat geimpft, aber mit einem Impfstoff, der in den USA nicht anerkannt ist.

Die Regierung Joe Biden verhandelt nun mit Havanna

Um ins gelobte Land zu gelangen, schrecken aber weder Krokodile und Zurückweisungen Fluchtwillige ab, die sich letztlich auf den Cuban Adjustment Act von 1966 berufen können, der ihnen ein Asylrecht und die schnelle Einbürgerung garantiert.

Inzwischen sieht sich auch die Biden-Regierung unter Druck. Einerseits fordert sie von Nicaragua, dem Ausgangsland der Fluchtrouten, visafreie Einreisen von Kubanern zu untersagen, andererseits hat Washington Verhandlungen mit Havanna aufgenommen, um die bestehenden Migrationsabkommen umzusetzen. Danach soll in einer Lotterie jährlich bis zu 30.000 Kubanern die Übersiedlung in die USA ermöglicht sowie Familienbesuche erleichtert werden. Auch die Visavergabe, die unter US-Präsident Donald Trump in Drittländer verlegt worden war, sov ll wieder im US-Konsulat in Havanna erfolgen. Außerdem wurde die ebenfalls von Trump eingeführte Obergrenze für Überweisungen von in den USA lebenden Kubanern an ihre Familien auf Kuba aufgehoben. 

Und es gibt weitere Verbesserungen: Der kubanische Privatsektor soll einen besseren Zugang zu Internetdiensten und E-Commerce-Plattformen bekommen; Charter- und Linienflüge sollen wieder Flughäfen auf der gesamten Insel anfliegen dürfen, und US-Bürger dürfen künftig in Gruppenreisen, nicht aber als Individualtouristen, Kuba besuchen. 

In Havanna wurde diese Kapitulation Washingtons angesichts des Massenandrangs auf seine Grenzen als „begrenzter Schritt in die richtige Richtung“ kommentiert und ein sofortiges Ende des seit dem Sieg der Revolution bestehenden Embargos sowie der von Trump durchgesetzten „wirtschaftlichen Belagerungsmaßnahmen“ verlangt.

Foto:  Kubaner werden beim Grenzübertritt von Mexiko aus in Yuma (Arizona) von der US-Grenzpolizei registriert: Havanna will Ende des Embargos