© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

CD-Kritik: Misho Kandashvili
Brücken bauen
Jens Knorr

Allein die Tatsache, daß einer in diesen Unzeiten georgische und russische Komponisten zusammenbringt, ist einfach buchenswert. Der 1993 in Tiflis geborene Misho Kandashvili tut es am Flügel. Dabei handelt es sich bei den Stücken georgischer Komponisten nicht nur um folkloristischen oder postmodernen Kitsch, sondern um mehrheitlich ernstzunehmende Auseinandersetzungen mit dem musikalischen Material.

Eigentlich sind die späten Gija Kantscheli und Alfred Schnittke eher der westeuropäischen Postmoderne zuzuschlagen. Kantschelis Miniaturen verwerten seine Filmmusiken; Schnittkes Drei Präludien für Klavier von 1953/54 sind ein Frühwerk. Atmen das Poem von Otar Taktakishvili und das Nocturne von Vaja Azarashvili unüberhörbar Mief aus der romantischen Mottenkiste, so gehen die Zwölf Romantischen Stücke von Andria Balanchivadze halb ironisch, halb melancholisch mit all den Idiomen um, die gemeinhin für romantisch gelten.

Der Khorumi von Meri Davitashvili, ein georgischer Kriegstanz mit seiner außergewöhnlichen Taktung und der Imitation von Trommel und Dudelsack, weitet sich zur Symphonischen Etüde aus. Die dritte Klaviersonate von Sergej Prokofjew op, 28, noch seiner russischen, vor-sowjetischen Periode zugehörig, ein Rausschmeißer, erscheint in diesem Zusammenhang entbehrlich, unentbehrlich dagegen die vierte Klaviersonate op. 11 des Russen Alexander Mossolow aus seiner futuristischen Periode, genial ausgespielt. Hat Georgien solche radikalen Avantgardisten auch? Die will ich hören!

Misho Kandashvili Klavier Thorofon 2022 www.bella-musica-edition.de