© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Der juristische Streit um die Rückgabe des Berliner Hotels Adlon
Der lange Schatten des Unrechts
Thomas Gertner

Mit viel Aufwand haben Fernsehen und Printmedien über eine von den Adlon-Erben beim Verwaltungsgericht Berlin eingereichte Klage auf Rückgabe des berühmten Berliner Hotels berichtet. Die Klage haben die Erben unmittelbar auf die einschlägige Vorschrift des Vermögensgesetzes gestützt. Das jedoch dürfte nach derzeit höchstrichterlicher Rechtsprechung kaum Aussicht auf Erfolg haben. Ich betone, daß ich mit dem Anliegen der Familie durchaus sympathisiere, weil es nicht zulässig sein kann, daß mit einer unhaltbaren Begründung die ehemaligen Eigentümer des Hotels noch heute als aktive Nationalsozialisten gelten, um den Erben eine angemessene Entschädigung vorzuenthalten. Ich selbst streite für viele Mandanten um eine Rehabilitierung und angemessene Wiedergutmachung der seinerzeit in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zu Unrecht als Nazi- und Kriegsverbrecher verfolgten Personen, die in Wahrheit allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer mißliebigen Klasse verfolgt wurden, was man dann euphemistisch als Boden- sowie Wirtschaftsreform bezeichnet hat.

Die vielen bisherigen erfolglosen Gerichtsverfahren sind rückblickend darauf zurückzuführen, daß die historischen Ereignisse bisher niemals hinreichend aufgearbeitet worden sind. Die Nachfahren der Betroffenen empfinden allein den Entzug des Eigentums, den sie als Enteignung bezeichnen, als das schwere Unrecht. Diese Sicht ist allerdings unvollständig, denn sie verkennt den wahren Hintergrund der seitens der sowjetischen Besatzungsmacht durchgeführten Maßnahmen.

Die Adlon-Erben führen in ihrem Verfahren aus, sie seien bereits während der NS-Zeit „faktisch enteignet“ worden, denn das Sagen in ihrem Hotel hätte primär die NSDAP gehabt, die Etagen für eigene Zwecke requiriert hätte. Das Hotelier-Ehepaar Louis und Hedda Adlon sei lediglich zum Schutz vor einer politischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten 1941 in die Hitler-Partei eingetreten.

Es mag zwar sein, daß Adlon in seiner Verfügungsbefugnis über das Hotel während der NS-Zeit eingeschränkt war. Ein vollständiger Eigentumsverlust, der Voraussetzung für die Restitution nach dem Vermögensgesetz ist, war dies jedoch nicht.

Zu Recht kann man mit Adlon auch davon ausgehen, die Sowjetregierung habe anläßlich der Wiedervereinigung keine Vorbedingung gestellt, die während der sowjetischen Besatzungszeit ohne Entschädigung den Eigentümern weggenommenen Immobilien dürften generell nicht zurückgegeben werden. Die sowjetische Vorbedingung beschränkte sich allein darauf, die in ihrer Besatzungszone durchgeführten Maßnahmen der Entnazifizierung und Entmilitarisierung auf der Grundlage von Gesetzen des Alliierten Kontrollrates im Einvernehmen mit den Westmächten dürften als solche nicht in Frage gestellt und in toto für nichtig erklärt werden. Auch die Westmächte hatten ihre Zustimmung zur Verkündung des Grundgesetzes davon abhängig gemacht, daß die Legitimität ihrer Maßnahmen während der Besatzungszeit grundsätzlich nicht in Frage gestellt werden dürfe.

Gleichwohl gestatteten aber die Gesetze in den ehemaligen westlichen Besatzungszonen einschließlich Berlin (West) die Überprüfung der damaligen Vermögenseinziehungen durch deutsche Organe in Anwendung des alliierten Besatzungsrechts. Ergab die Überprüfung, daß der Betroffene nicht belastet im Sinne der damaligen alliierten Gesetzgebung war, so wurde dieser rehabilitiert, und es folgte im Regelfall eine entsprechende Entschädigung, entweder durch Restitution oder durch eine angemessene Entschädigungsleistung. Entsprechend hat der ehemalige sowjetische Botschafter Wladislaw Terechow in einem Schreiben aus dem Jahr 1992 Michail Gorbatschows Aussage dahingehend präzisiert, daß keine Rehabilitierung, geschweige denn Restitution möglich sein dürfe, wenn nicht in jedem Einzelfall sorgsam das Verhalten der jeweiligen Betroffenen während der NS-Herrschaft zuvor überprüft wurde.

Zusammengefaßt bedeutet dies im Falle Adlon, daß die Restitution nicht allgemein ausgeschlossen sein sollte, nach dem Willen auch der sowjetischen Besatzungsmacht jedoch zuvor eine förmliche Aufhebung der Schuldzuweisung durch Rehabilitierung der jeweiligen Betroffenen zu erfolgen hat.

Adlon weist nun völlig richtig darauf hin, daß sein Rechtsvorgänger als Nazi diffamiert worden ist, obgleich er lediglich aus Furcht vor eigener politischer Verfolgung im Jahre 1941 in die NSDAP eingetreten war. Dies führte dazu, daß er nach Kriegsende auf die sogenannte Liste 3 gesetzt wurde. Rechtsgrundlage hierfür war das Gesetz vom 8. Februar 1949 „Zur Einziehung von Vermö-genswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten“. Hierbei handelte es sich um ein Gesetz des Magistrats von Groß-Berlin, der auch über die Erfassung von Adlon entschieden hat, nicht jedoch unmittelbar die sowjetische Besatzungsmacht. Voraussetzung für die Erfassung in Liste 3 war, daß die Betroffenen als Kriegsverbrecher und Naziaktivisten eingestuft wurden. Als solche galten diejenigen Personen, die nach der Direktive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946 des Alliierten Kontrollrates in Deutschland (KRD 38) als Hauptschuldige oder Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer) eingestuft worden waren. Vermutlich ist Adlon als sogenannter aktiver Nationalsozialist allein wegen seiner nominellen Mitgliedschaft in der NSDAP und auch als vermeintlicher Nutznießer der NS-Herrschaft erfaßt worden, weil NS-Größen das Hotel häufig frequentierten.

Wie war nun die Rechtslage während der Besatzung? Da Deutschland damals kein souveräner Staat war und die höchste hoheitliche Gewalt vom Alliierten Kontrollrat ausgeübt wurde, wurde die Entnazifizierung zwar von deutschen Behörden, aber auf der Grundlage der KRD 38 durchgeführt. Diese Rechtslage war in allen vier Zonen identisch. Es kam immer darauf an, ob dem Betroffenen eine individuelle Schuld vorzuwerfen war. Wenn diese Schuld so schwer wog, daß die Betroffenen als Hauptschuldige oder Belastete einzustufen waren, sah die KRD 38 die Möglichkeit vor, als Sühneleistung das Vermögen der Betroffenen ganz oder teilweise einzuziehen; der Betroffene mußte nach der genannten Direktive in der Lage sein, seinen und den Unterhalt seiner Familie zu bestreiten. Diese Direktive wurde aber von den ostzonalen deutschen Behörden nur als Vorwand mißbräuchlich angewandt, planmäßig eine vorkommunistische Gesellschaftsordnung herzustellen. Würde man aber wegen dieser willkürlichen Anwendung der KRD 38 die Liste 3 generell als unwirksam ansehen, so würde man die Rechtmäßigkeit der von allen Besatzungsmächten durchgeführten Maßnahmen auf diesem Gebiet in Frage stellen. Dagegen haben sich jedoch alle vier Siegermächte verwahrt.

Es kommt also an dieser Stelle darauf an, ob Adlon zu Recht als Hauptschuldiger oder Belasteter eingestuft worden ist. Da die Familie Adlon Ausgleichsleistungen erhalten hat, die eine sogenannte Würdigkeitsprüfung der damaligen Betroffenen voraussetzten, müßte hier eigentlich problemlos die Rehabilitierung erfolgen. Durch die Gewährung von Ausgleichsleistungen ist jedoch unstreitig keine Rehabilitierung geregelt worden, sondern lediglich ein im Rahmen des Sozialstaatsprinzips erfolgter minimaler Ausgleich der Vermögensinteressen. Für eine Rehabilitierung ist es nämlich erforderlich, daß zunächst die seinerzeit getroffenen Schuldfeststellungen förmlich beseitigt werden. Dies sieht das Vermögensgesetz aber nicht vor. Es regelt lediglich unter anderem die Folgen einer Rehabilitierung nach anderen Gesetzen (§ 1 Abs. 7 Vermögensgesetz –VermG). Es ist allgemein wenig bekannt, daß als Folge einer Rehabilitierung Ansprüche auf Rückgabe nach dem Vermögensgesetz eröffnet werden, und zwar auch für Vermögensentziehungen während der Besatzung.

In dem Wirrwarr der deutschen Gesetzgebung zu den Folgen der Wiedervereinigung finden sich zwar auch zwei Rehabilitierungsgesetze. Hier ist primär an das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) zu denken. Dieses wird aber von den Gerichten nicht angewandt, weil die Rehabilitierung Restitutionsansprüche auslösen würde, deren Entstehen gerade verhindert werden soll. Die Gerichte begründen dies zuletzt damit, daß es sich bei den Maßnahmen der sogenannten Boden- und Industriereform nicht um formal strafrechtliche Maßnahmen gehandelt habe, unabhängig davon, daß es hier auf den materiellen Strafcharakter der Maßnahmen ankommen müßte, was allerdings durchgängig mißachtet wird. Das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz findet ebenfalls hier keine Anwendung.

Zusammengefaßt, dürfte damit leider der von den Adlon-­Erben derzeit eingeschlagene Rechtsweg wohl erfolglos sein, und zwar vor dem Hintergrund, daß sonst bei allen zu Unrecht Verfolgten ein Rehabilitierungsverfahren mit anschließender Restitution durchgeführt werden müßte, was möglicherweise bei den Gerichten und den Behörden sowohl personell als auch materiell alle Kapazitäten sprengen würde. Die hierdurch bewußt herbeigeführte Ungleichbehandlung von Betroffenen in den ehemaligen Westzonen und der ehemaligen SBZ offenbart eine die Opfer und ihre Nachfahren diskriminierende Gerechtigkeitslücke. Denn was im Westen für Opfer ungerechter Entnazifizierungsverfahren möglich war, muß eigentlich auch für gleichartig Verfolgte in der SBZ gelten. Andernfalls bestünde eine Ungleichbehandlung vor dem Gesetz.

Um diese Gerechtigkeitslücke zu schließen, müßte also ein Weg gefunden werden, den Nachfahren überhaupt eine Rehabilitierungsmöglichkeit zu eröffnen, um auch einen postmortalen Achtungsanspruch der Betroffenen zu erfüllen. Nur ein solcher, die historischen Fakten berücksichtigender Ansatz kann letztlich zum Erfolg führen. Nicht die Vermögenswegnahme als solche, sondern die zu ihrer Legitimation damals gegebene Begründung für diese existenzvernichtende Maßnahme kann einer juristischen Überprüfung, wie schon im Westen, zugänglich sein.






Dr. jur. Thomas Gertner, Jahrgang 1950, ist Rechtsanwalt in Bad Ems. Er hat sich spezialisiert auf das Recht der Wiedergutmachung schweren Unrechts in der SBZ etc. An der Universität Konstanz wurde er 1995 zu einem Thema der Bodenreform promoviert.

Foto: Farbpostkarte des Berliner Hotels Adlon, Berlin 1910: Anders als in den Westsektoren Berlins konnten Betroffene von Vermögenseinziehungen vor Spruchkammern den Rechtsweg beschreiten. In der SBZ sowie dem Ostsektor Berlins war eine juristische Überprüfung unmöglich