© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Trommeln für die Energiewende
Konturen einer „Ökodiktatur“: Bürgerbeteiligung wird nur zum scheindemokratischen Theater
Oliver Busch

Wie leicht Karl R. Poppers „offene Gesellschaft“, der die „Freiheit des Individuums“ vorgeblich das höchste Gut ist, totalitäre Gestalt annehmen kann, haben schon die „Transformationen“ der US-Demokratie bewiesen, die während der beiden Weltkriege vor rassistischer Entrechtung ihrer deutsch- und japanischstämmigen Staatsbürger nicht zurückgeschreckt ist. Und die zugleich zur „totalen Mobilmachung“ ihrer humanen und materiellen Ressourcen weitaus fähiger war als die Mächte der Achse Berlin–Rom–Tokio. Die rigiden, während der Corona-Pandemie in der gewöhnlich sich liberal, pluralistisch, „weltoffen“ gebenden Bundesrepublik exekutierten Einschränkungen von Grundrechten sind durchaus im Licht solcher historischen Exempel zu verstehen.

Corona als Probelauf für Zumutungen der „Ökodiktatur“

Nicht abwegig war es daher, wenn Kritiker des Lockdown-Regimes mutmaßten, „Corona“ sei nur ein Probelauf für Zumutungen des Ausnahmezustands der „Ökodiktatur“, die demnächst vielleicht den Deutschen im Namen der „Klimarettung“ aufgezwungen werden würde. Tatsächlich ließen akademisch patentierte Apokalyptiker und ihre altparteilichen politischen Arme niemanden im u nklaren darüber, daß die 2011 mit Angela Merkels Atomausstieg „alternativlos“ eingeläutete „Energiewende“ ohne Verluste an frevelhaft fossil basierter Lebensqualität nicht abgehen würde.

Durch den seit Februar zäh sich hinziehenden russisch-ukrainischen Krieg katalytisch stimuliert, haben die Vortrupps dieser „Ökodiktatur“ mittlerweile die Bühne betreten. Sie dürften ungeachtet von 9-Euro-Tickets, Benzin-Rabatt und ähnlichem Opium für das Wahlvolk gekommen sein, um zu bleiben. Grund genug für die Bundeszentrale für politische Bildung, im jüngsten Themenheft ihrer Hauszeitzeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte (21/22-2022) einem halben Dutzend Sozialwissenschaftler zum Thema „Ökologie und Demokratie“ das abwiegelnde Wort zu erteilen. Sie legen einen Schwerpunkt auf die Frage, ob „freiheitliche“ westliche Konsumgesellschaften sich nur dann unterhalb der im Pariser Klimaabkommen von 2015 fixierten Schwelle von 1,5 bis 2 Grad Celsius Erd-erwärmung bis zum Jahr 2100 halten können, wenn sie sich am Vorbild des Überwachungsstaats China orientieren. 

Keiner der Beiträger bezweifelt, den prognostizierten globalen Temperaturanstieg bis 2100 auf zwei Grad deckeln zu müssen. Niemand unter ihnen stellt also die absolute Notwendigkeit der Energiewende in Abrede. Die Ökodiktatur erscheint ihnen darum zwingend als Mittel der Wahl. Aber bevor man diese Peitsche herausholt, gibt es zunächst Zuckerbrot. Um Versuchen, klimapolitische Maßnahmen als undemokratisch zu diskreditieren, entgegenzuwirken, sei es erforderlich, mehr „demokratische Vermittlungsarbeit zu investieren, um die Bevölkerung auf dem Transformationspfad ernstlich ‘mitzunehmen’“. Vor allem auf kommunaler Ebene, wo Konflikte um konkrete Vorhaben wie Windparks oder Photovoltaik-Felder ausgefochten werden.

Wie das in der „demokratischen Praxis“ zugehen soll, skizziert die Soziologin Nicole Doerr (Kopenhagen) in ihrem Aufsatz über „Die Rolle zivilgesellschaftlicher Klimaübersetzer:innen in Dänemark und Deutschland“. Solche beim nördlichen Nachbarn staatlich finanzierten, hierzulande noch größtenteils ehrenamtlich tätigen „Übersetzer“ sind dafür zuständig, „breitere gesellschaftliche Akzeptanz für die Umsetzung internationaler Klimaziele“ zu schaffen. Der unter viel „Bürgerbeteiligung“ inszenierte „Dialog“ ist daher kein ergebnisoffener Prozeß. Ist doch der Sieg des „vernünftigeren Arguments im herrschaftsfreien Diskurs“ (Jürgen Habermas) unter keinen Umständen vorgesehen. Denn am Ende jeder „beratschlagenden Bürgerversammlung“ ist immer „Konsens“ herzustellen über die Pflicht zur Durchsetzung der Energiewende noch im kleinsten Dorf.

Für den am Potsdamer Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung tätigen Politologen Jörg Radtke verbietet sich spätestens seit Beginn des russisch-ukrainischen Krieges selbst der leiseste Widerspruch gegen den Ausstieg aus Kohle, Gas, Kernenergie. Denn nunmehr sei der rasche Ausbau der „Erneuerbaren“, der „Gangwechsel im Hochgeschwindigkeitsmodus“, auch „sicherheitspolitisch von höchster Priorität“. Leider könnte bei diesem Tempo in drastisch verkürzten Genehmigungsverfahren auch die „demokratische Qualität von Mitsprache und Beteiligung“ unter die Räder kommen. Was sich jedoch mit einem Plus an „akzeptanzpolitischer“ Agitation bis in die Reihen der „Heimatvereine“ hinein ausgleichen ließe. Radtke folgt dabei der erprobten SED-Maxime: „Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten.“

Für die auf „Konfliktsituationen“ spezialisierte Sozialpsychologin Beate Küpper (Hochschule Niederrhein) und den Soziologen Fritz Reusswig (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) ist die Gefahr allerdings gering, daß solche „Scheinbeteiligung“ die Glaubwürdigkeit der monströsen „Operation Energiewende“ in Verruf bringen und noch mehr Politikverdrossenheit erzeugen könnte, sei doch „die große Mehrheit in Deutschland im Grundsatz für die Energiewende“. Dagegen opponiere nur eine von der AfD, dem deutschen Dachverband der Antiwindkraft-Bewegung („Bundesinitiative Vernunftkraft“) und dem mit professoralen Ruheständlern besetzten Europäischen Institut für Klima &Energie (EIKE) gebildete Allianz von „Leugnern des menschengemachten Klimawandels“. 

Mit dem „Klimawechsel“ den „Systemwechsel“ vorantreiben

Das Recht zu zivilem Ungehorsam gegen die Vollstreckung des angeblichen energiepolitischen Mehrheitswillens will der zuletzt 2021 mit Hetze gegen seine als „transphob“ denunzierte britische Kollegin Kathleen Stock übel aufgefallene Philosoph Robin Celikates (FU Berlin) solchen Gruppierungen keinesfalls zugestehen. Das sei reserviert für „transnationale Akteurskonstellationen unter prominenter Einbeziehung von Akteuren aus dem Globalen Süden“, die den „Klimawechsel“ zum „Systemwechsel“ vorantreiben. Was nicht einmal den Verfassungsschutz kümmern sollte, denn es gehe „nur“ um die Überwindung der „kapitalistischen Lebensweise“, nicht um die Abschaffung von Demokratie und Rechtsstaat.  

Wo hier im Ernstfall die Grenze zu ziehen wäre? Von Celikates, dem Sympathisanten von „Ende Gelände“, „Extinction Rebellion“, „Aufstand der letzten Generation“ und ähnlichen Vorfeldorganisationen einer potentiellen „grünen RAF“, der seit einem Jahrzehnt mit immer gleichen Satzbausteinen über „Zivilen Ungehorsam“ publiziert, wird man eine konzise Antwort darauf nicht erwarten dürfen. Fest steht jedoch auch für moderatere Klimahysteriker wie den Hallenser Politologen Johannes Varwick, daß der Staat angesichts der „Apokalypse, die in wenigen Jahren unumkehrbar sein wird“, die von unten drohende Gewalt neutralisieren sollte, indem er sich selbst an die Spitze der Bewegung Richtung Ökodiktatur setzt: „Wir brauchen das Unmögliche, Radikale, das Systemverändernde.“ 

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