© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Die Merkmale unserer Identität
Ein Sammelband stellt die ewig aktuelle Frage „Was ist deutsch?“
Paul Leonhard

Was ist des Deutschen Vaterland? Eine Frage, die 1813 den Patrioten Ernst Moritz Arndt umtreibt, als er in Königsberg unter den Ostpreußen für den Aufstand gegen Napoleon wirbt. Arndt beantwortet die Frage interessanterweise über die Sprache: „So weit die deutsche Zunge klingt (...) Das soll es sein! / Das, wackrer Deutscher, nenne dein!“

Der Herausgeber des Sammelbandes „Was ist deutsch? Elemente unserer Identität“, der Historiker und Verleger Wolfgang Dvorak-Stocker, ist Österreicher und seit 1999 Herausgeber der in den 1950er Jahren gegründeten Quartalsschrift Neue Ordnung, 2020 in Abendland umbenannt. Das vorliegende Buch beinhaltet Beiträge aus den vergangenen zwanzig Jahren aus dieser Quartalschrift. 

So beleuchtet Andreas Vonderach die anthropologische und genetische Stellung des deutschen Sprachgebietes in Europa. In seinem Beitrag über den Völkerpsychologen Willy Hellpach spürt er den Unterschieden zwischen den einzelnen Stämmen und Regionen nach. Hrvoje Lorković erkundet aus psychiatrischer Sicht das Phänomen von „Neurotischen Nationen“. Über „Das Deutsche in der deutschen Kunst“ schreibt Wilhelm Pinder, über Unterschiede zwischen französischer und deutscher Baukunst Eduard Huber.

Ausgerechnet die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat, als sie gerade dabei war, die Grenzen für Millionen Fremde zu öffnen, ein Loblied auf die deutsche Identität gesungen: Es gehöre „zur Identität unseres Landes, Größtes zu leisten. Aus Trümmern ein Land des Wirtschaftswunders zu schaffen, aus Teilung ein in der Welt hochgeachtetes Land in Einigkeit und Freiheit zu vereinen“. Letztlich ist es schade, daß der Band nicht der Frage der nachhaltig ethnisch und demographisch veränderten Identität in deutschen Großstädten nachspürt und das Ergebnis mit den ländlichen Räumen mit ihren eigenen Dialekten, Sitten und der natürlichen Skepsis gegenüber Fremden vergleicht. Tatsächlich ist es heute wohl die Sprache, die – quasi als kleinster gemeinsamer Nenner – die deutsche Identität bestimmt. Im Gegensatz zu Spaniern, Portugiesen, Franzosen und Briten haben Deutsche keine Weltreiche erobert und den dort lebenden Menschen ihre Sprache aufgenötigt, und doch fanden Wörter wie Butterbrot, Perückenmacher oder Strafe ins Russische oder Kindergarten und Blitzkrieg ins Englische. Noch immer bleibt Deutschland aus ausländischer Sicht das Land der Dichter und Denker, der Erfinder und der ewig an einem imaginären Vaterland Leidenden. Das hat wohl mit den geschichtlichen Brüchen zu tun, deren Schrecken tief im Unterbewußtsein verankert sind.

Wolfgang Dvorak-Stocker: Was ist deutsch? Elemente unserer Identität. Ares Verlag, Graz 2021, gebunden, 300 Seiten, 24,90 Euro