© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Klimaneutrale Luftfahrt-Träume
Den Reichweiten von Batterie- und Wasserstoff-Flugzeugen sind enge Grenzen gesetzt
Christoph Keller

Beim Ausrufen illusionärer Ziele will auch der internationale Luftfahrtverband IATA nicht hinter der EU-Kommission zurückbleiben. Bis 2050 werde der Flugverkehr, der selbst nach Berechnungen der Umweltagentur EUA mit nur 3,4 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen beteiligt war, „klimaneutral“ sein. Vorige Woche auf der Luft- und Raumfahrtausstellung ILA in Berlin schwärmten daher im „Future Lab“ Politik- und Wirtschaftsvertreter von „Brennstoffzellen für elektrische Antriebe“ und dem Antrieb von Passagierjets durch Gasturbinen: „Wasserstoff hat das Zeug, die Luftfahrt klimaneutral zu machen.“

Auch der Münchner Wissenschaftsjournalist Hartmut Netz, der in seinen Artikeln die „Energiewende“ propagandistisch verklärt, scheint zu Beginn seiner Recherchen wohl daran geglaubt zu haben (Bild der Wissenschaft, 4/22). Optimistisch mag ihn gestimmt haben, was der frühere Bremer Grünen-Senator Ralf Fücks – heute Chef des „Zentrums Liberale Demokratie“, dessen Kooperationspartner die Bertelsmann- und Adenauer-Stiftung oder George Soros’ Open Society Foundations sind – als Szenario präsentiert: Demnach ließen sich Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß um zehn Prozent reduzieren, wenn die Maschinen auf geringerer Höhe und auf „intelligenteren“ Routen fliegen würden. Mittelfristig sollen „effizientere Flugzeuge“ die Emissionen um weitere 50 Prozent drücken. Den „Rest“ müßten klimaneutrale Kraftstoffe und Antriebe bringen.

Norwegischer Inlandsverkehr soll bis 2040 voll „elektrifiziert“ werden

Hartmut Netz hat sich mit Jens Friedrichs (Institut für Flugantriebe der TU Braunschweig) und mit Josef Kallo (Universität Ulm) darüber unterhalten, welche Hoffnungen die Forschung denn bereithalte. Die Antworten fielen ernüchternd aus. Emissionsfreie Antriebstechnik sei zwar bis zur Marktreife entwickelt. Zum Beispiel in Form elektrischer Antriebe, wie sie der italienische Ultraleichtflugzeugbauer Tecnam in Kooperation mit dem Triebwerkhersteller Rolls Royce anbiete. Damit will der norwegische Regionalflieger Widerøe seine überalterte De Havilland/Bombardier-Flotte ergänzen und ab 2026 in den Linienbetrieb gehen. Schließlich soll der gesamte norwegische Inlandsverkehr laut Regierungsbeschluß bis 2040 „elektrifiziert“ werden.

Doch die geringe Energiedichte von Batterien und das hohe Gewicht definiere die „Grenzen des Wachstums“: Der von Widerøe georderte Flieger könne nur neun Passagiere auf Distanzen von höchstens 300 Kilometern befördern. Die schwedische Firma Heart Aerospace will ab 2026 sein 19sitziges E-Flugzeug ES 19 mit bis zu 400 Kilometer Reichweite an United Airlines ausliefern. Der US-Konzern hofft, so kurze Zubringerflüge zu den Luftdrehkreuzen kerosinfrei und billiger – E-Motoren kosten weniger als Strahltriebwerke – anbieten zu können. Doch trotz Staats- und EU-Förderung plus üppiger Investorengelder von Bill Gates war die Göteborger Firma nicht auf der ILA 2022 zu sehen.

Friedrichs hält die aktuell versprochenen Reichweiten von 500 Kilometern nicht für das Ende der Fahnenstange. Durch eine andere Akku-Zellchemie und innovative Leichtbautechniken ließe sich die Energiedichte von 400 Wattstunden pro Kilogramm auf 800 verdoppeln. Damit könnte man theoretisch ein Flugzeug antreiben, das 160 Passagiere etwa 1.000 Kilometer weit brächte. Aber mehr sei in absehbarer Zeit „nicht drin“. Für Mittel- und Langstrecken, wo Autos und Züge keine Alternative sind, taugen Batterieflieger also nicht. Friedrichs’ „Hoffnungsträger“ ist Wasserstoff (H2). Das farb- und geruchslose – aber auch explosive – Gas wiege bei gleicher Energiedichte nur ein Drittel soviel wie Kerosin. Ein H2-Flugzeug könne bei gleicher Reichweite höhere Nutzlasten transportieren als konventionelle Airbus- und Boeing-Jets.

H2 sei prinzipiell ein klimaschonender Energieträger, der weder im Betrieb noch bei der Erzeugung CO2 verursache, wenn bei der Elektrolyse aus Wasser „Grünstrom“ aus Windenergie verwendet werde. H2 muß zur Verflüssigung unter großem Energieaufwand auf minus 253 Grad Celsius heruntergekühlt und in Druckgasspeichern gelagert werden, ohne daß es zur Diffusion komme. Deren Konstruktion bereite Probleme, es fehle an zugelassenen Werkstoffen, die die Haltbarkeit der Tanks für die übliche Betriebsdauer eines Flugzeugs garantierten. Technische Hürden, die Airbus-Ingenieure nicht zu schrecken scheinen: der Konzern hat für 2035 einen „Wasserstoff-Jet“ angekündigt.

Das Ulmer Team um Josef Kallo entwickle hingegen zusammen mit Kollegen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) den weltweit ersten Brennstoffzellen-Antriebsstrang im Megawatt-Bereich, der 40- bis 60sitzige Regionalflugzeuge auf Strecken von bis zu 1.000 Kilometern antreiben könnte. Das Herzstück ist die aus futuristischen Pkws und Lkws oder japanischen Gebäuden bekannte Brennstoffzelle, die aus getanktem Wasserstoff und zugeführter Luft den zum Antrieb notwendigen elektrischen Strom erzeugt. Auch bei dieser Technologie, in der 15 Jahre Entwicklungsarbeit stecken, hakt es gewaltig: Sie sei, räumt Kallo ein, keineswegs klimaneutral.

Denn egal, ob Brennstoffzelle oder H2-Direktverbrennung: Bei beiden Antriebsarten entstehe Wasser, das als Dampf in die Atmosphäre entweicht und dort klimarelevante Kondensstreifen bildet – pro Energieeinheit sogar zweieinhalbmal soviel wie bei der Kerosin-Verbrennung. Und Kallo gibt zu, daß sich beide Antriebsarten nur für Mittelstrecken eignen. Zwar schwärme das dazu laufende EU-Forschungsprojekt „Clean Sky“ von Reichweiten bis zu 10.000 Kilometern, doch nach heutigem Wissensstand hält Kallo Transatlantikflüge mit Wasserstoff für utopisch. In aller Bescheidenheit gibt Airbus für den größten seiner geplanten H2-Jets daher an, damit maximal 3.700 Kilometer zu schaffen – ein moderner A321LR mit 200 Passagieren kommt doppelt so weit.

Hohe Effizienzverluste in der Produktion von „grünem“ Kerosin

Mittelfristig führe daher der einzig realistische Weg, um die Langstrecken zu bewältigen, über „CO2-neutrales“ Kerosin. Daß Ölo-Treibstoffe funktionierten, sei durch 200.000 Flüge belegt, bei denen sie konventionellem Kerosin beigemischt wurden. Allerdings liege ihr Preis aktuell 500 Prozent über dem von fossilem Kerosin: „Und die notwendigen Mengen für eine Umstellung der gesamten Luftfahrt dürften kaum produzierbar sein.“ Als allerletzte Hoffnung bliebe synthetisch hergestelltes Kerosin. Doch abermals sei der Pferdefuß schnell erkennbar: die zu hohen Effizienzverluste in der Produktionskette vom Grünstrom über Wasser, H2 und CO2 hin zum „grünen“ Kerosin.

Nur 40 Prozent der Ursprungsenergie kommen letztlichin dem Turbinen-Strahltriebwerk an, und davon werden höchstens 60 Prozent in Antriebsenergie verwandelt. Solche Verluste dürften den Bedarf an zusätzlichen Grünstrom in „schwindelerregende Höhen treiben“. Also scheine nur vernünftig, was die Internationale Energieagentur IEA vorschlage, um Klimaneutralität in der Luftfahrt wenigstens ansatzweise zu erreichen: drastische Reduktion von Langstreckenflügen und das Verbot von Kurzstreckenflügen unter einer Stunde. Das erklärt nun auch, warum das EU-Parlament bei seinem radikalen Verbrenner-Verbot ab 2035 (JF 25/22) Pkws und Lieferwagen den technisch möglichen Alternativbetrieb mit synthetischen oder Biokraftstoffen (E-Fuels) verwehrt.

IATA-Klimapläne:

 iata.org

 heartaerospace.com