© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/22 / 01. Juli 2022

Was der Bauer nicht kennt
Um Hitze und Trockenheit zu trotzen, versuchen es Landwirte mit exotischen Früchten
Bernd Rademacher

Längere Hitze- und Trockenperioden bedeuten Streß für Ackerpflanzen. Für den Landwirt können sie zum Totalausfall bei der Ernte führen. Die letzten Extremsommer gaben so manchem Bauern den Anstoß, sich nach toleranteren Feldfrüchten umzusehen. Fündig wurden sie dabei in fernen Gegenden, z.B. Südamerika und Asien. Die Idee: den Verbrauchern trendige, exotische „Superfoods“ bieten zu können und diese auch noch aus regionalem Anbau. Der alte Jux „Deutsche, kauft deutsche Bananen!“, ist drauf und dran, Realität zu werden. Immer mehr Betriebe experimentieren mit Physalis (auch „Anden-Stachelbeere“ genannt), mit Goji- und Acai-Beeren.

Melonen fühlen sich in Bayern und Baden besonders wohl

In Walsrode möchte der Betrieb Oestmann den süß-herben Saft der vitaminreichen Aroniabeere aus Sibirien populär machen. In der Naturheilkunde gilt die Aroniabeere wegen ihres extrem hohen Gehalts an Antioxidantien als Immun-Booster. In Heilbronn produziert Goji-Gärtner Umbach Produkte in Bio-Qualität, was den Vorteil hat, daß seine Beeren nicht stark schadstoffbelastet sind, wie nicht selten die aus ihrer ursprünglichen Heimat importierten. Im vergangenen Jahr lieferte die Goji-Ernte im Harz schon über 40.000 Tonnen des korallenroten „Chinesischen Bocksdorns“ (so der deutsche Name).

In der Nordheide wächst neuerdings Buchweizen, der Trockenheit gut verträgt und ziemlich anspruchslos ist. Dennoch ist der Anbau nicht nur wegen kleiner Absatznischen ein Risiko: Friert es vor der Ernte, ist der Ertrag dahin. Während die Aroniabeere im Freiland gut zurechtkommt, gibt es bei Gojibeeren Probleme durch Blattkrankheiten, eine starke Anfälligkeit für Mehltau und häufigen Befall mit Gallmilben. Der neueste Trend sind Kiwibeeren, die bei ersten Anbauversuchen aber oft von der Kirschessigfliege heimgesucht wurden. Neue Früchte – neue Schädlinge.

Melonen fühlen sich auf badischen und bayerischen Böden wohl und werden in der Region direkt vermarktet. Lange Wege entfallen: So müssen die Früchte nicht auf dem Lkw-Transport nachreifen, sondern werden erst bei der natürlichen Reife geerntet. Bereits einen festen Platz auf deutschen Äckern hat die lateinamerikanische Süßkartoffel, die eigentlich gar keine Kartoffel ist. Von den zahlreichen Arten der Knolle ist bei uns fast ausschließlich die gelb-orange Variante bekannt. Die Süßkartoffel liebt viel Sonne und wird – genau wie unsere heimischen Erdäpfel – auf dem Feld in Erdwällen angehäufelt. Vor allem Betriebe mit kleinen Flächen und direkter Vermarktungsstruktur durch Hofläden, Verkaufsmobile oder Kontakt zur regionalen Gastronomie trauen sich an die Süßkartoffel.

Deutschland importiert jährlich rund 50.000 Tonnen Süßkartoffeln, vor allem aus China, und ist damit der siebtgrößte Importeur weltweit. Zum Vergleich: Der Verzehr heimischer Speisekartoffeln beträgt über fünf Millionen Tonnen. Da die Kunden jedoch bevorzugt zu heimischer Ware aus ihrer Region greifen, ist die orange-violette Knolle auch für deutsche Landwirte interessant, vor allem im Bio-Segment. Die Anbauflächen in Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz liegen zusammen allerdings noch bei unter 500 Hektar und produzieren etwa 5.000 Tonnen pro Jahr – knapp ein Zehntel des deutschen Marktes.

Süßkartoffeln mögen sandige Böden – so wie die vom Hof Schulz in der Lüneburger Heide, wo die Exoten als heimisches Erzeugnis ihre Abnehmer finden. Für den Öko-Landbau ist die Knolle vor allem durch ihren niedrigen Stickstoffbedarf attraktiv. Doch der Anbau hält auch einige Tücken parat: Die Exotin verzeiht keine zu kalten Temperaturen und erfordert eine spezielle Erntetechnik.

Dabei zeigt sie eine große Vielseitigkeit in der Küche und ist daher bei Gastronomen sehr beliebt – besonders bei urbanen „Food Trucks“, die ein junges Publikum mit schnellen Snacks ansprechen wollen.

Süßkartoffeln sind nicht länger als zwei Wochen haltbar, dafür muß man sie vor der Zubereitung nicht schälen. Das Geheimnis liegt im langen Einweichen in kaltem Wasser, damit die Stärke austritt. Nur so werden Pommes, Kartoffelschnitze oder „Poutines“ (ein kanadischer Trend-Imbiß) nicht matschig, sondern kroß und knusprig. Süßkartoffel-Pommes schmecken übrigens besonders gut mit ein paar Krümeln Cheddar-Käse und Guacamole oder einer Avocado-Mayonnaise. Guten Appetit!

Foto: Aus Südamerika nach Deutschland: Süßkartoffeln stapeln sich auf einem Hof in Niedersachsen. Übrigens: Die Exoten sind gar keine echten Kartoffeln