© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

„Ein Klima der Angst“
Genderpolitik: Als Antwort auf den Feminismus hat der Erziehungswissenschaftler Markus Meier den Studiengang „Male Studies“ gegründet. Worum geht es dabei? Und weshalb wäre ihm das in Deutschland unmöglich gewesen?
Moritz Schwarz

Herr Professor Meier, was bitte sind „Male Studies“?

Markus Meier: Meine Antwort auf den Etikettenschwindel der „Gender Studies“, deren Name nahelegt, es ginge bei diesen um beide Geschlechter, also auch um den heterosexuellen Mann. Das aber ist so gut wie nie der Fall.

Es gibt aber doch bereits spezielle „Men’s Studies“.

Meier: Noch mehr Etikettenschwindel, denn dabei handelt es sich um einen Teil der feministischen Gender Studies, die sich keineswegs Lage und Bedürfnissen von realen Männern widmen, sondern deren Selbstverständnis dekonstruieren und im feministischen Sinne reprogrammieren wollen: Man lehrt, was Männer alles falsch machen und wie sie sich von sich selbst „befreien“ können. Im Gegensatz zu Men’s Studies sind meine Male Studies also der wohl weltweit erste nicht-feministisch ausgerichtete Studiengang in dieser Richtung.

Und womit beschäftigen sich Male Studies? 

Meier: Male Studies verstehen sich einerseits als wissenschaftliches Komplement – also Ergänzung – und andererseits als ein Gegengewicht zu Feminismus. Komplement insofern, als sie alles das ansprechen, was der Feminismus unter den Tisch fallen läßt, insbesondere – aber nicht nur – die reproduktiven Rechte von Männern. Und Gegengewicht insofern, als sie auch die konkrete Auseinandersetzung mit den feministischen Gender Studies suchen.

Zum Beispiel?

Meier:  In den Gender Studies wird theoretisiert, daß „die“ Männer „die“ Frauen „unterdrücken“, im „Patriarchat“. Gleichzeitig wird gesagt, es gebe gar keine Männer und Frauen, das sei alles Einbildung. Wir schauen, welche Belege pro und contra es in der Wirklichkeit für diese gewagten und widersprüchlichen Theorien überhaupt gibt. 

Mir ist das Konzept nicht geläufig. Was sind „reproduktive Rechte der Männer“?

Meier: Das könnte Teil des Problems sein – aber diese Reaktion ist sehr häufig. Das Konzept besagt, daß (auch) Männer das Recht haben zu entscheiden, ob sie sich reproduzieren wollen oder nicht. Schauen Sie, früher war das Verhältnis Mann/Frau komplementär und kooperativ: Heißt, beide ergänzten sich und arbeiteten an einem gemeinsamen Projekt: sie übernahm Haushalt, Versorgung, Brutpflege, dafür hatte er ein Gehalt nach Hause zu bringen – und sein Erfolg am Arbeitsmarkt war auch in ihrem Interesse. Dann kam die Gleichberechtigung, die in den letzten Jahrzehnten vor allem auf das Feld der ökonomischen Produktion gerichtet war: also die Eingliederung der Frau in die Arbeitswelt. Durch sie sind heute Mann und Frau nicht mehr vor allem Kooperationspartner, sondern Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt. Und hier setzen die Male Studies an: die diese Reorganisation auf dem Feld der Produktion zugunsten der Frau nur als die erste Phase eines allgemeinen Emanzipationsprozesses verstehen. Und nun wird es Zeit für dessen zweite Phase: nämlich die Reorganisation der biologischen Reproduktion – also der Hervorbringung von Nachkommen – zugunsten der Männer. Im Zuge der Frauenemanzipation ist die nämlich ohne Rücksicht auf deren Partizipation organisiert worden. 

Ja klar, Männer können nun mal keine Kinder bekommen. Wollen Sie die menschliche Natur ändern?

Meier: Im Gegenteil! Männer reproduzieren sich in ihren Kindern genauso wie Frauen, etwa Fünfzig zu Fünfzig. Erstens ist Reproduktion ohne Männer bei höheren Lebensformen unmöglich, weil diese ohne die Mischung von Genen bei der Zeugung aussterben würden. Zweitens sind Männer Väter, haben also eine natürliche Bindung zum Kind. Männer haben wie alle Lebewesen das evolutionäre Bedürfnis, sich zu reproduzieren – denn Reproduktion ist die „Münze“ der Evolution! Alle Anstrengungen, die Männer unternehmen, um erfolgreich zu sein, ob als Jäger, Krieger, Karrieremensch, und für die sie oft ihre Gesundheit und Lebensjahre opfern, dienen letztlich „ultimat“ – so sagen die Evolutionsbiologen – dazu, ein gutes Weibchen zu finden, um erfolgreich Nachkommen großzuziehen. Sozial und juristisch ist Reproduktion jedoch inzwischen als „Frauensache“ monopolisiert. Und so verfügen heute ab der Zeugung weitgehend die Frauen über die Kinder – und vor allem: sie entscheiden darüber, ob ein Kind überhaupt ausgetragen wird oder nicht. 

Was müßte sich nach Ihrer Ansicht ändern?

Meier: Gerade gab es ein Urteil, dessen Bedeutung kaum zu überschätzen ist: die Aufhebung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA im Fall „Roe versus Wade“ von 1973. Damit wurde damals erstritten, daß Abtreibung ein verfassungsmäßiges Recht der Frau sei – wodurch rechtlich das Monopol der Frau über das Kind geschaffen wurde. Dessen Interessen, sowie die reproduktiven Interessen des werdenden Vaters, wurden dabei ignoriert. Von nun an spielte es keine Rolle mehr, was dieser wollte: Wollte sie sein Kind nicht, wurde es abgetrieben. Wollte sie es, er aber nicht, bedeutete das einen massiven Einschnitt in sein Leben, da er nun für zwanzig Jahre finanziell verpflichtet war. Frauen bekamen damit also nicht nur Verfügungsgewalt über das Leben des Kindes, sondern konnten auch massiv ins Leben der Väter und deren reproduktive Interessen eingreifen – so oder so. Diese reproduktive Schieflage im Verfassungsrang zum Nachteil des Mannes haben die US-Richter nun zu Recht korrigiert. 

Viele Medien erzählen die Geschichte anders: Zwei vom toxischen Mann Trump ernannte reaktionäre Richter, die als Männer das Thema Abtreibung nichts angeht, haben die Gesellschaft fünfzig Jahre zurückgestürzt.

Meier: Und „toxisch“ bedeutet dann: Möglichst rasch und geräuschlos zu vernichten? Doch zum Urteil: Es ist kein Rück-, sondern ein Fortschritt, denn nach fünfzig Jahren ist endlich der Weg frei, das Abtreibungsrecht zu modernisieren, sprich zu demokratisieren: So wie wir in der ersten Phase der Emanzipation die ökonomische Produktion durch die Integration der Frau modernisiert haben, geht es nun in ihrer zweiten Phase darum, die biologische Reproduktion durch die Integration des Mannes zu modernisieren. Klar, daß es vielen Frauen nicht passen wird, sich künftig auf einem Feld, das sie bislang für sich hatten, einer Interessenkonkurrenz zu stellen. So wie es auch vielen Männern nicht paßte, als sie in der Arbeitswelt Konkurrenz durch Frauen bekamen. Aber wo es gesellschaftlich indiskutabel wäre, Frauen vom Arbeitsmarkt wieder ausschließen zu wollen, da muß es indiskutabel werden, Männer weiter beim Thema Nachwuchs zu benachteiligen. Die US-Richter haben die Uhr also nicht zurückgedreht, sondern die Emanzipation vorangetrieben. Biologische Reproduktion ist de facto gemeinsame Sache von Frau und Mann und das muß sich in einer modernen Gesellschaft endlich auch im Recht abbilden. „Gleichheit“ muß das Leitprinzip sein, nicht „mindestens Gleichheit für eine bestimmte Gruppe“. Alles andere wäre vorgestrig, geradezu feudal.  

Roe gegen Wade ist ein US-Urteil. Spielt es für uns in Deutschland also überhaupt eine Rolle? 

Meier: Ja, denn die USA üben einen starken kulturellen Einfluß auf Deutschland aus und daher ist die Entwicklung der Debatte dort von großer Bedeutung bei uns. Und das obwohl die rechtliche Lage in Deutschland eine völlig andere ist als in den USA. Im Gegensatz zu dort wurde hier nämlich – unter dem Eindruck der NS-Zeit – das Recht des Fötus auf Leben nie zugunsten des Rechts der Frau auf Selbstbestimmung über ihren Körper ignoriert. Doch durch den deutschen Abtreibungskompromiß von 1994 ist trotz dieser völlig anderen De-jure-Situation bei uns de facto eine ähnliche Lage entstanden wie in den USA ab 1973. Und mit der jüngsten Abschaffung des Paragraphen 219a – dem Werbeverbot für Abtreibung – hat man sich dieser noch einen weiteren Schritt genähert. 

Wie sehen Ihre Male Studies eigentlich praktisch aus?

Meier: Wir hatten unlängst etwa den Fall einer nicht mehr erziehungsfähigen Mutter. Die Frage war nun, erhält der Vater oder die Schwester der Mutter das Sorgerecht? Entschieden wurde zugunsten der Schwester, ohne daß es dafür offensichtliche Gründe gab, wie etwa Gefährdung des Kindswohls durch den Vater. Wir haben dann untersucht, wie diese Entscheidung zustande kam. 

Sie lehren in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens – warum nicht in Deutschland? 

Meier: Meine Frau ist von dort, ich habe dort ein gutes Angebot von einer renommierten Universität bekommen – übrigens, nachdem mir in Deutschland zwei Stellen verweigert wurden, da sie mit Frauen zu besetzen waren.

Hätten Sie Ihre Male Studies auch an einer deutschen Uni etablieren können?

Meier: Ganz bestimmt nicht! Allein einen feminismuskritischen Studiengang auch nur vorzuschlagen wäre in Deutschland beruflicher Selbstmord.

Und in Kolumbien ist es kein Problem? 

Meier: Doch, sehr wohl. Beim Thema Geschlecht herrscht in der westlichen akademischen Welt inzwischen allgemein ein Klima der Angst. Möglich war das nur, weil meine Chefin sich zwar als Feministin, aber auch als Liberale versteht. 

Spielt eine Rolle, daß Ihre Universität, als eine Gründung der liberalen bürgerlichen Bewegung des 19. Jahrhunderts gegen die damals konservative Regierung, in einer besonderen freiheitlichen Tradition steht?

Meier: Jein – es hängt viel am Mut Einzelner. Der akademische Feminismus ist weltweit exzellent vernetzt und finanziert. Meine Frau sagt manchmal scherzhaft: „Erforsche singende Frauen im Amazonasgebiet und du hast nur noch Freunde.“   

Warum folgen Sie nicht diesem Ratschlag?   

Meier: Dafür bin ich als Wissenschaftler irgendwie zu altmodisch: Es gibt eine Realität und ich bin überzeugt, daß die Idee einer Austauschbarkeit der Geschlechter Unsinn ist. Das gleiche gilt für die Idee einer Verschwörung „der“ Männer gegen „die“ Frauen im „Patriarchat“. Der große Charles Darwin, die Soziobiologie und Evolutionspsychologie sehen die Zweiteilung der Geschlechter als biologisch gegeben an, das Sozial-Kulturelle baut sich lediglich drumherum. Diese Annahme läßt sich gut belegen.

Im 2021 bei Rowohlt erschienenen Buch „Die letzten Männer des Westens. Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats“ greift Autor Tobias Ginsburg Sie persönlich an. Was steckt dahinter? 

Meier: 2019 war ich zum Kongreß der FDP-nahen „Liberalen Männer“ in Nürnberg geladen. Kernthese meines Vortrags war, daß – entgegen der Vorstellung, man könne Wahlen nur noch pro Feminismus gewinnen – Trump in den USA, Jair Bolsonaro in Brasilien, Chaves Robles in Costa Rica mit einem gender- und feminismuskritischen Kurs gesiegt haben. Diese Option wird in Deutschland aber nicht aufgegriffen, weil die Parteien hier, inklusive der CDU, bereits zu sehr durchgegendert seien. 

Was ist mit der AfD, die ist doch feminismuskritisch?

Meier: Die setzt aber dem Feminismus nur ein hilfloses „Zurück zur traditionellen Familie“ entgegen. Das aber ist eine Illusion, da die dafür nötigen sozialen Voraussetzungen erodiert sind. Dieser Ansatz ist ergo nicht mehrheitsfähig. Mein Vorschlag in Nürnberg war, die Emanzipation fortzusetzen und zu komplettieren: nach der der Frau in der Produktion, nun durch die des Mannes in der Reproduktion – und so Mehrheiten zu gewinnen. 

Interessiert das denn genug Wähler? 

Meier: Ich denke ja, der Unmut ist groß, nicht nur unter Männern, das hat Trump gezeigt. Doch vor allem: die Reproduktion als „Lifestyle“ dem Individualismus der Frauen zu überlassen führt, wie die Demographie zeigt, zur völligen Überalterung der Gesellschaft, die rentenmäßig ja schon jetzt kaum noch zu finanzieren ist. Die politische Frage, die also auf der Straße liegt und die man nur aufgreifen muß, ist: Wie organisieren wir künftig – nachhaltig – unsere biologische Reproduktion genauso erfolgreich wie unsere ökonomische Produktion? Und wie bringen wir beides in ein für Männer und Frauen erträgliches Gleichgewicht? Das ist ein existentielles Zukunftsthema, das sicherlich nicht durch ein „zurück zu“ gelöst werden kann! Ich hatte deshalb in Nürnberg die Besetzung dieser politischen Lücke allen Parteien und nicht etwa nur FDP und AfD empfohlen – was die Hetzschrift von Ginsburg aber komplett unterschlägt.






Prof. Dr. Markus Meier, der Erziehungswissenschaftler lehrt „Male Studies“ an der traditionsreichen liberalen Privatuniversität Externado in Bogotá, Kolumbien. Einer seiner Schwerpunkte ist die „gleiche Behandlung von (biologisch) Ungleichem“ im Bildungswesen. Dazu veröffentlichte er 2015 den Band „Lernen und Geschlecht heute. Zur Logik der Geschlechter­dichotomie in edukativen Kontexten“. Er studierte Geschichte, Philosophie sowie deutsche Philologie und wurde 1965 in Detmold geboren.

Foto: Zorn über die Aufhebung des US-Abtreibungsurteils „Roe vs. Wade“: „Frauen können massiv ins Leben der Väter und die reproduktiven Interessen der Männer eingreifen. Das haben die Richter nun zu Recht korrigiert“