© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Feigheit der Wissenschaft
Humboldt-Universität: Weil Linksradikale mit Störungen drohten, sagt die Hochschulleitung einen Vortrag über Geschlechter in der Biologie ab
Vincent Steinkohl

Ungewöhnlich groß und äußerst kritisch ist das Echo, das die Berliner Humboldt-Universität (HU) mit der Absage eines Vortrags bei der „Langen Nacht der Wissenschaften“ erzeugt hat. „Dieser Umerziehungs-Terror paßt nicht zu einem freiheitlichen Land“, wetterte der Bundestagsabgeordnete Florian Hahn (CSU) in der Bild. „Wer sich öffentlich zu Grillfleisch bekennt oder äußert, daß es in der Biologie nur zwei Geschlechter gebe“, werde öffentlich an den Pranger gestellt.

Hintergrund der Kritik ist die Absage des Vortrags „Geschlecht ist nicht gleich (Ge)schlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ der Biologin Marie Vollbrecht durch die Universität. Zuvor hatte der „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen an der Humboldt-Uni Berlin“ (AKJ) zum Protest vor Ort aufgerufen. Es sei „skandalös“, daß die HU Berlin „einer bekanntermaßen transfeindlichen Referentin eine Bühne bietet“, kommentierte AKJ-Pressesprecherin Stefanie Richter. „An unserer Uni gibt es keinen Platz für Queerfeindlichkeit. Wir sehen uns auf der Straße!“ Weil die Universitätsleitung nach eigenen Angaben nicht für die Sicherheit garantieren konnte, sagte sie den Vortrag kurzfristig ab. Dieser soll nachgeholt werden. „Wir bedauern sehr, daß Frau Vollbrecht den Vortrag nicht halten kann“, sagte die Kommunikationschefin der Hochschule, Birgit Mangelsdorf. „Die Entscheidung sei keine inhaltliche Aussage, sondern diene der reinen Sicherheit.“

„Kapitulation vor selbsternannten Politzensoren“

Vollbrecht verteidigte unterdessen ihren Standpunkt. Aus biologischer Sicht sei es „ein evolutionärer Fakt, daß es nur zwei Geschlechter gibt“, sagte sie der Welt. Es gebe nur zwei verschiedene Keimzellen, und daraus resultiere das, „was wir männlich und weiblich nennen“. Jeder solle nach seiner Façon glücklich werden, jedoch sei die Existenz von zwei Geschlechtern nicht zu leugnen, betonte die Biologin. Sich selbst bezeichnete Vollbrecht als „sehr links“. Sie sei in ihrer Jugend klassisch links sozialisiert worden und sehe sich selbst als „Feministin“, unterstrich die Doktorandin. Vollbrecht gehörte zu den fünf Gastautoren, die Anfang Juni in der Welt gegen die Indoktrinierung von Kindern durch die öffentlich-rechtlichen Sender protestierten.

Auch AfD und FDP kritisierten das Agieren der Universität. Der wissenschaftspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Martin Trefzer, sagte, es könne nicht sein, daß auf eine Bedrohung der Lehr- und Redefreiheit immer wieder kopflos mit einer „Kapitulation vor selbsternannten Politzensoren“ reagiert werde. „Die Universitäten sind jetzt in der Pflicht, den Korridor des Sag- und Denkbaren entschlossen zu verteidigen.“

Zuvor hatte bereits Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) gefordert, es dürfe „nicht in der Hand von Aktivisten liegen, welche Positionen gehört werden dürfen und welche nicht“. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) zeigte sich ebenfalls irritiert vom Verhalten der Universität: „Es ist eine bedenkliche Situation, wenn ausgerechnet an einer Hochschule, die idealtypisch den Freiraum der Debatte garantieren soll, derart diskursfeindlich vorgegangen wird.“

Kritik gegenüber dem Verhalten der HU kam auch vom Präsidenten des Deutschen Hochschulverbands, Bernhard Kempen. Die Universität habe der Wissenschaftsfreiheit einen Bärendienst erwiesen. Statt dem Druck beizugeben, hätte sie „Rückgrat beweisen sollen“ und alles daransetzen müssen, daß der Vortrag stattfinden könne. Universitäten seien Stätten geistiger Auseinandersetzung. „Boykott, Bashing, Mobbing oder gar Gewalt dürfen keinen Erfolg haben“, mahnte Kempen.

Auch das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit empörte sich angesichts der Entscheidung der Universität. Daß Forscher „regelmäßig bedroht und beleidigt“ würden, stelle „die Wissenschaftsfreiheit an Berliner Hochschulen und Universitäten nicht nur im Einzelfall, sondern grundsätzlich in Frage“, warnte der Zusammenschluß von Wissenachaftlern. „Wir fordern die Senatsverwaltung auf, ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht zugunsten der Wissenschaftsfreiheit nachzukommen und derartige Vorfälle künftig zu unterbinden.“ Der Evolutionsbiologe Axel Meyer, Mitglied des Netzwerks, sagte dem Cicero, die HU sei „keine besonders gut geleitete Hochschule, zu viele politische Interessen und zu wenige Prinzipien“.

 Der Vortrag von Marie Vollbrecht im Internet: www.youtube.com

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