© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Pronomen statt Chromosomen
Transsexualität: Nach dem Willen der Ampel-Koalition kann bald jeder sein Geschlecht so schnell wechseln wie seinen Reisepaß verlängern
Christian Vollradt

Über einen guten Tag freuten sich Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und ihr liberaler Kollege Justizminister Marco Buschmann, als sie vergangene Woche gemeinsam ihre „Eckpunkte zum Selbstbestimmungsgesetz“ vorstellten. Deutschland werde „vielfältiger“ und auch „freier, offener, moderner“, so ihr übereinstimmendes Resümee. Denn damit ende die Gültigkeit des Transsexuellengesetzes der achtziger Jahre, das in wesentlichen Teilen bereits vom Bundesverfassungsgericht außer Vollzug gesetzt worden war (JF 21/22).  

Sich nicht mit dem biologischen Geburtsgeschlecht zu identifizieren sei normal, wenn auch statistisch eher eine Seltenheit, betonte Buschmann. „Wir führen ein Stück Normalität ein.“ Die bisherige Regelung habe Menschen, die sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlten, jahrelang pathologisiert und auf unangemessene Weise in ihre Intimsphäre eingegriffen, kritisierte auch  die grüne Ministerin Paus. Daß sich Betroffene bis jetzt einer gerichtlich angeordneten Begutachtung zu unterziehen hätten, sei „menschenverachtend“. Niemand könne die Geschlechtsidentität eines anderen Menschen feststellen. Künftig reiche für eine Änderung des Eintrags zum Geschlecht im Personenstandsregister der einfache Antrag vor dem Standesbeamten. „So einfach, wie einen Paß zu verlängern“, freute sich Buschmann. 

Minister halten Mißbrauch für eher unwahrscheinlich

Wer aufgrund früherer Bestimmungen von „Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen“ betroffen war, soll entschädigt werden. Um die Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre von Transsexuellen zu schützen, die die Angaben in ihren Ausweisdokumenten ändern lassen, soll überdies ein strafbewehrtes Offenbarungsverbot gelten. Wer „Deadnaming“ betreibe, also den abgelegten Namen oder das Geburtsgeschlecht eines Transgenders nenne, könne dann mit einem Bußgeld bestraft werden. So soll Buschmann zufolge ein „Zwangs-Coming-out“ verhindert werden. Bisher gilt ein Offenbarungsverbot – etwa bei Adoptionen – nur für staatliche Stellen.

Auch Minderjährige ab 14 Jahren haben nach den vorgestellten Plänen das Recht, ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Sie benötigen dafür aber die Zustimmung ihrer Eltern. Falls diese sich gegen einen solchen Schritt aussprechen, soll ein Familiengericht im Einzelfall entscheiden. Die Änderung des Personenstands kann sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen frühestens nach einem Jahr wieder rückgängig gemacht werden. Mit medizinischen „Geschlechtsangleichungen“ habe das geplante Gesetz nichts zu tun, das wurden die beiden Minister nicht müde zu betonen. 

Daß es massenhaft zu einem Mißbrauch kommt, halten die Minister für unwahrscheinlich. Keiner werde aus „Jux und Tollerei“ seinen Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern lassen, so Buschmann auf die Frage nach dem Schutz von Frauen-Umkleiden vor ungebetenen Besuchern. Allerdings dürfte der Gesetzgeber mit manchen Folgewirkungen zu rechnen haben. Kann der erste Satz in Paragraph 183 des Strafgesetzbuches weiter unverändert Bestand haben? Der lautet: „Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ 

Und was ist mit der Wehrpflicht? Die ist – ausschließlich in Friedenszeiten – ausgesetzt, aber nicht grundsätzlich abgeschafft. Artikel 12a des Grundgesetzes gilt nach wie vor, demzufolge „jeder männliche deutsche Staatsbürger vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden“ kann. In einem (aktuell weniger denn je auszuschließenden) Spannungs- oder gar Verteidigungsfall kann diese nur für Männer geltende Dienstpflicht wieder aktiviert werden.

Vielleicht auch wegen solcher Details kommentierte der frühere Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa, den Vorstoß weit weniger euphorisch als die beiden Ressortchefs. Man solle bei jedem Schritt auch das Ende des Weges im Blick haben, gab er zu bedenken. „Wer jegliche Hürde für das Wechseln des Geschlechts beseitigt, wird am Ende eine Gesellschaft bekommen, in der das Geschlecht komplett abgeschafft wird.“ Und der Jurist warnte vor den langfristigen Folgen: Eine Rechtsordnung, die die biologische Realität nicht mehr berücksichtige, „verliert die Bodenhaftung und damit Akzeptanz.“ 

Allen Bedenken zum Trotz soll das künftige Selbstbestimmungsgesetz noch in diesem Jahr vom Kabinett beschlossen und dann zügig durch den Bundestag gebracht werden.

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