© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Krach ums stille Örtchen
Paul Rosen

Berlin ist nicht Clochemerle, obwohl die deutsche Hauptstadt mit dem vom französischen Schriftsteller Gabriel Chevallier erfundenen Städtchen eine Gemeinsamkeit hat: In beiden Orten streiten sich höchste Würdenträger um den Bau eines Toilettenhäuschens. Doch während Chevallier eine weltberühmte Komödie schuf, gerät der Bau des Besucher- und Informationszentrums (BIZ) des Deutschen Bundestags mittlerweile zu einem Trauerspiel (JF 18/22). Das Berliner Baukollegium lehnt den Bau eines Toilettenhäuschens neben dem Besucherzentrum ab, weil sich der Bundestag seinen Besuchern nicht zuerst mit einem Toilettenhäuschen präsentieren dürfe. Der Bundestag wiederum will die Bedürfnisanstalt angesichts langer Warteschlangen bei den Kontrollen vor dem Einlaß in den Reichstag unbedingt.

Im Clochemerle mußte das Militär anrücken, um den Streit zwischen den politischen Lagern zu beenden. Die Berliner Toilettenposse erledigt sich möglicherweise bald von alleine, denn inzwischen hat man herausgefunden, daß sich die Planung des Architekten Markus Schietsch für das BIZ mit einer Glasfassade nicht mit den Vorschriften des Bundes zur Energieeffizienz vereinbaren läßt. Weil die Glasfassaden energetisch so ungünstig seien, rechne man nicht damit, daß der Bau bei der geplanten Inbetriebnahme 2030 die Anforderungen zur Energieeffizienz des Bundes erfüllen könne, heißt es in einem Vermerk der Bundestagsverwaltung.  

Will das Parlament aber seiner diesbezüglichen Vorbildfunktion gerecht werden, würde das eine völlige Neuplanung bedeuten. Einer anderen Anforderung an staatliches Handeln, nämlich dem sparsamen Umgang mit Steuergeldern, entspricht das Besucherzentrum schon vor dem ersten Spatenstich nicht mehr. Die ursprünglichen Kosten von 150 Millionen Euro waren schon lange Illusion. Nach neuesten Schätzungen soll das Zentrum, zu dem ein Besuchertunnel zum Westportal des Reichstags gehört, 365 Millionen Euro kosten. Angesichts der energetischen Probleme glaubt niemand mehr daran, daß die Bauarbeiten wie geplant 2025 beginnen und das Gebäude 2030 übergeben werden kann.

Damit befindet sich das Besucherzentrum in einer unrühmlichen Reihe staatlicher Baupannen und Kostensteigerungen. Die größte Baupanne ist das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus für Bundestagsabgeordnete und Verwaltung, dessen Kosten von ursprünglich 86 Millionen auf zuletzt 332 Millionen Euro gestiegen sind (JF 42/15). Statt 2014 soll das Gebäude jetzt 2024 übergeben werden. Ein weiterer Fall ist die ehemalige amerikanische Botschaft in der DDR, in der ebenfalls Bundestagsbüros eingerichtet werden sollen. Das Gebäude sollte 2021 fertig werden, jetzt wird 2024 geschätzt. Die Kosten stiegen von 27 auf 81 Millionen Euro.

Bei den Pleiten, Pech, Pannen und Dummheiten hat man den Eindruck, Berlin lasse sich weniger mit Chlochemerle vergleichen, sondern eher mit der Stadt Schilda, deren Bürger laut Legende Licht mit Eimern ins Rathaus schleppten, weil beim Bau des Hauses die Fenster vergessen wurden.