© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Schuß-Schluß der Woche
Überfall auf sächsisch
Paul Leonhard

Der Zug war pünktlich. Nun hätten nahe der Grundmühle im Lößnitzgrund nur noch die Banditen aus dem Gebüsch springen müssen. Aber der Überfall fand nicht statt, die geladenen Revolver blieben in den Holstern. Zum ersten Mal seit 1993. Stattdessen postierten sich die verwegenen Gestalten am Schienenstrang und informierten die verblüfften Passagiere des vorbeischnaufenden Radebeuler „Lößnitzdackels“ auf ihrer „Karl-May-Fahrt“ per Plakat: „Hier hätte der Zugüberfall stattgefunden. Vielen Dank an das Kreisordnungsamt Meißen.“ Denn das hatte zwar nicht den Überfall untersagt, aber den Einsatz von Platzpatronen. Und letztlich sind die „Outlaws“, allesamt Mitglieder des „Meißner Schützenvereins 1460“, selbst schuld. Hatten sie doch in einer Zeitung mit ihrer langen Überfalltradition geprahlt. Pech, daß ein Mitarbeiter des Kreisordnungsamtes des Landratsamtes Meißen den Beitrag las, der daraufhin den Vereinschef kontaktierte und nach der behördlichen Genehmigung für den Einsatz von Kartuschenmunition außerhalb von Schießplätzen befragte. Natürlich besaßen die Möchtegern-Banditen keine, und als sie diese umgehend beantragten, wurde das – so geht sächsisch – ablehnend beschieden. Die Behörde hatte sich inzwischen Filmaufnahmen früherer Überfälle angesehen und befunden, „die wilden und unkontrolliert erscheinenden Schußrichtungen, das Schießen in den Zug hinein oder aus dem Zug heraus, generell die Handhabungen der Waffen“ erscheine „rechtlich äußerst fragwürdig“. Auch seien die Platzpatronen zu laut, könnten besonders Kinder erschrecken. Die verheerendste Kritik der Bürokraten aber lautete, sie könnten keinerlei Choreographie erkennen. Immerhin erklärte sich die Behörde bereit, bei der „rechtskonformen Durchführung“ künftiger Überfälle zu helfen. Der nächste ist für den 28. August geplant.