© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Angriff statt Verteidigung
Welthandel: Die BRICS-Staaten wollen expandieren, und der Westen sonnt sich
Josef Hämmerling

Die Welt steht vor großen politischen Umwälzungen. Während bislang vor allem die G7- und G20-Staaten das wirtschaftliche und politische Weltgeschehen bestimmten, gewinnt besonders durch Rußlands Krieg in der Ukraine und damit verbunden die Sanktionen der westlichen Welt immer mehr eine weitere Gemeinschaft an Bedeutung: BRICS. Die BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika) sind eine Vereinigung aufstrebender sowie immer stärker werdender Volkswirtschaften. Als bislang letztes Land kam Südafrika 2010 in diese Vereinigung, die bereits jetzt 42 Prozent der Weltbevölkerung und 24 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts repräsentiert. Nun haben Argentinien und der Iran einen formellen Antrag auf Beitritt gestellt, der bisherigen Äußerungen der Regierungschefs der anderen fünf Ländern zufolge auch angenommen werden wird. Vor wenigen Tagen kündigte zudem Kasachstan an, zwar derzeit noch keinen formellen Aufnahmeantrag stellen zu wollen, aber eine enge Zusammenarbeit anzustreben. 

Entsprechend hat auch der chinesische Präsident Xi Jinping auf der kürzlich stattgefundenen BRICS-Vollversammlung, an der auch Argentinien, der Iran, Kasachstan und andere Staaten teilnahmen, erklärt, daß dieser Zusammenschluß in den vergangenen 16 Jahren stetig gewachsen sei und den fünf Staaten viele Vorteile gebracht habe. Ferner betonte er, daß Sanktionen die Weltwirtschaft zu einer Waffe machten und daß es nicht der richtige Weg sei, „blindes Vertrauen in die sogenannte Position der Stärke“ zu setzen. Vielmehr sei der von den USA angestrebte Unilateralismus der falsche Weg. Zudem seien trotz des zunehmenden westlichen Drucks auf Peking, sich von Moskau zu distanzieren, Chinas Importe russischer Energie seit April stark angestiegen. 

So einigte sich der BRICS-Gipfel dann auch auf folgende Botschaft: Die Gruppe ist entschlossen, vom Westen unabhängig zu werden, und bereit, ihren eigenen Kurs zu bestimmen. Der stellvertretende Leiter des Kasachischen Instituts für Strategische Studien beim Präsidenten von Kasachstan (KazISS), Sanat Kushkumbayev, betonte, daß die BRICS-Staaten bereits jetzt der größte Lebensmittelproduzent der Welt seien. Kasachstan mit einer Weizenernte von rund 14 Millionen Tonnen kündigte an, bald 4,25 Millionen Tonnen Weizen nach Afrika zu exportieren. Im Norden des Landes werden große Mengen an Weizen produziert, während im Süden vorwiegend Obst, Gemüse, Tabak, Reis, Hanf und Baumwolle angebaut werden. 

Auch Indien will Vorherrschaft der Vereinigten Staaten brechen 

Von daher könne sein Land ein wichtiger Partner von BRICS+ werden, wie die Vereinigung mittlerweile mehr und mehr angesichts der vielen Beitrittspartner und assoziierten Länder genannt wird, so Kushkumbayev. Der große Vorteil sei auch, daß diese Organisation keine Charta und keine festen Regeln habe und so viel flexibler auf geänderte Umstände reagieren könne. 

Auf besonders engagierte Zustimmung traf der Vorschlag des indischen Premierministers Narendra Modi einer Zusammenarbeit als Governance-Modell. Dieses bezeichnet das Steuerungssystem von Zahlungsmechanismen, Lieferketten und Verkehrsinfrastrukturen in der Region des Indischen Ozeans bis zum Pazifischen Ozean. 

Das mache die in BRICS+ zusammengeschlossenen Länder unabhängig von der bisherigen Vorherrschaft der USA respektive der westlichen Länder überhaupt. Dies ist auch der Hauptgrund für den Iran und Argentinien, ihre Beitrittsanträge zu stellen. 

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi erklärte: „Gegensätzliche globale Trends, Unilateralismus, nationalistische Parteilichkeiten und Herausforderungen wie Sanktionen und wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen machen deutlich, wie wichtig es ist, neben den Vereinten Nationen neue Institutionen zu schaffen und zu stärken und dabei die Souveränität und die nationalen Interessen der Nationen zu respektieren, um wichtige Schritte zur Verwirklichung einer Gesellschaft mit einer gemeinsamen Zukunft zu unternehmen.“ Zudem wäre der Iran, der über die zweitgrößten Gasreserven der Welt verfügt, „ein Mehrwert für beide Seiten.“ 

Für Argentinien hingegen stellt ein Beitritt zur Staatengruppe eine Chance für der Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage dar. Präsident Alberto Fernández machte in diesem Zusammenhang klar, daß sein Land einen wichtigen Beitrag zur BRICS-Wirtschaftskooperation leisten könnte. Argentinien sei unter anderem ein sicherer und verantwortungsvoller Lebensmittellieferant, der auf dem Gebiet der Biotechnologie und der angewandten Logistiktechnologie anerkannt sei.

Und die G7? Gefragt nach der Aktivität der BRICS-Staaten mag der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus, John Kirby, kein Wort verlieren. „Was also die BRICS angeht, so lassen wir diese Länder für sich selbst sprechen und für die Treffen, die sie abhalten, und die Diskussionen und – und was auch immer dabei herauskommen mag“, erklärte er und pries US-Präsident Joe Biden für dessen Bemühungen, dieses Bündnis neu zu beleben, die helfen würden, „unsere nationale Sicherheit, die wirtschaftliche Sicherheit, die Ernährungssicherheit zu unterstützen“.

Kirby verwies dabei auf die von Biden im vergangenen Jahr ins Leben gerufene Globale Infrastrukturpartnerschaft. Diese sollte primär die weltweite wirtschaftliche Erholung vorantreiben und nun auch eine führende Rolle spielen, Rußland für dessen Angriffskrieg in der Ukraine „erhebliche und rasche Kosten“ aufzuerlegen. „Seit Jahren hören wir immer wieder, daß die G7 zu einer verbrauchten Kraft geworden sind. Aber die Führung von Präsident Biden und dieser entscheidende Wendepunkt haben dieses Gerücht zu Grabe getragen“, betonte Kirby und unterstrich: „Die G7 sind heute eine der mächtigsten Institutionen der Welt, in der gleichgesinnte Demokratien Probleme lösen.“ 

Foto: Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, Präsident Xi Jinping, Indiens Premier Narendra Modi, Wladimir Putin und Präsident Jair Bolsonaro auf dem BRICS-Gipfel in Brasilien: Im Jahr 2019 guter Dinge – als hätten sie die Entwicklung  vorhergesehen