© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht
Niederlande: Die Landwirte gehen auf die Barrikaden, denn die Regierung will Bauern enteignen, Tiere schlachten lassen und Ackerland bebauen
MIna Buts

Die niederländischen Bauern sind wütend. Sie sollen, geht es nach dem linksliberalen Abgeordneten Tjeerd de Groot (D66), ihre Viehbestände dezimieren und jede zweite Kuh schlachten. Große Teile des Ackerlands sollen aufgegeben, die Bauern ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden. Denn nur dann, so argumentiert die Regierung in Den Haag, könnten die Stickstoffobergrenzen, zu denen sich das Land im EU-Programm Natura 2000 verpflichtet hat, auch erreicht werden. Seit 2015 versuchen die Niederlande, den durch Gülle verursachten Stickstoff zu senken. Diesem Zweck diente auch die 2019 verfügte Senkung des Tempolimits von 130 auf 100 km/h, die jedoch nicht zum gewünschten Erfolg führte. Nun will die Regierung mit aller Macht durchgreifen – Bauern enteignen, Tiere schlachten, Ackerland bebauen.

Seit Tagen ziehen die Landwirte zu Tausenden mit ihren Traktoren auf die Autobahnen, blockieren Ab- und Auffahrten und legen den Verkehr lahm. Die Bürger nehmen die stundenlangen Staus bislang extrem gelassen und verständnisvoll hin. Selbst als zu Beginn der Woche zum ersten Mal Autoreifen, Holzpaletten und Heuballen auf dem Seitenstreifen der Autobahnen angezündet wurden, war die weitverbreitete Meinung immer noch: Wenn die Bauern anders nicht gehört würden, müßten sie sich eben auf diese Weise Gehör verschaffen. 

Seit Mitte der vergangenen Woche werden Distributionszentren der großen Lebensmittelketten blockiert. Und selbst der von der Regierung dorthin beorderten Spezialeinheit der Mobilen Eingreiftruppe trotzen die Bauern: „Wir werden mal schön alle hier bleiben, die machen gar nichts“, erklärte ein Bauer vor laufender Kamera.

Die niederländische Organisation „Farmers Defence Force“ ist im Moment auffallend zurückhaltend, sammelt aber Spendengelder, um die vielen Bußgeldbescheide und Ordnungsgelder, die gegen die Bauern verhängt werden, zahlen zu können.

 Politische Unterstützung erhalten die Bauern vor allem von konservativen und rechten Parteien. Die Journalistin und Abgeordnete Caroline van der Plas von der BauernBürgerBewegung (BBB) ist im Moment die prominenteste Anwältin der Landbevölkerung. Bislang ist sie zwar die einzige Vertreterin ihrer Partei im Parlament, doch aktuelle Umfragen sehen die BBB unterdessen mit über zehn Prozent als zweitstärkste Kraft im Land. Van der Plas bedauert die zunehmende Polarisierung zwischen Stadt und Land und befürchtet, daß es durch die anhaltenden Proteste zu Lebensmittel-engpässen kommen könnte. Auch Geert Wilders (PVV) meint, die Regierung müsse die angestrebten Stickstoffwerte zurücknehmen, „sonst haben sie nachher gar keine Wähler mehr“. „Der niederländische Staat ist wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht. Überall brodelt es. Denn unser Land ist komplett zerstört. Und die Niederländer sind wütend“, so der 58jährige.

Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT erklärt der Abgeordnete Gideon van Meijeren (Forum für Demokratie) das eigentliche Ziel der unnachgiebigen Regierungspolitik: „Es ist überdeutlich, daß das Kabinett vor allem auf das Land der Bauern aus ist. Das Kabinett hat nämlich Pläne, um bis zum Jahr 2030 noch eine Million Wohnungen und Tausende von Windrädern zu errichten, für die es im Moment keinen Platz gibt.“ Der 35jährige Politiker  befürchtet eine weitere Radikalisierung der Bauern: „Wenn die Regierung von den Enteignungsplänen nicht absieht, werden die Proteste, die wir bis jetzt gesehen haben, verblassen gegenüber den Aktionen, die noch folgen werden. So sehr mich das auch beunruhigt, so sehr ist das eine logische und vorhersehbare Folge des hinterhältigen Angriffs auf unsere Bauern.“