© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Das Chaos an den Schaltern bleibt
Luftfahrtbranche: Flugausfälle, Warteschlangen und verpaßte Anschlüsse strapazieren Urlauber und Geschäftsreisende
Fabian Schmidt-Ahmad

Die Luftfahrtbranche war der große Verlierer des Corona-Lockdowns. In diesem Jahr sollte sie der große Gewinner der wiedererwachten Lust der Deutschen am Reisen sein. Doch statt Aufschwung trudelt eine ganze Branche ins erneute Chaos. Alleine an deutschen Flughäfen fehlen 7.200 Beschäftigte, womit fast jede fünfte Stelle unbesetzt ist, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) errechnete. Richten sollen es jetzt ernsthaft türkische Gastarbeiter. Wie konnte es zu dieser Situation kommen?

Die zivile Luftfahrt steht im intensiven Wettbewerb. Hohe Investitions- und Betriebskosten machen den Spruch „Zeit ist Geld“ buchstäblich wahr. Jede ungenutzte Stunde am Boden verschlingt Kapital, das anderswo eingespart werden muß. Auf den Lockdown reagierte die Branche entsprechend knallhart, obwohl es weltweit Milliardenprogramme zur Stützung der nationalen Fluggesellschaften gab. Statt Mitarbeiter noch irgendwie zu halten, gab es Massenentlassungen und einen radikalen Stellenabbau. Man habe es „an der einen oder anderen Stelle“ mit dem Sparen übertrieben, räumt nun Lufthansa-Chef Carsten Spohr ein.

Das rächt sich nun. Denn ein Großteil der Entlassenen steht seinen ehemaligen Arbeitgebern in Sachen Flexibilität nicht nach und hat sich längst andere Jobs gesucht: Logistiker, die früher Gepäckmassen bewältigten, arbeiten nun bei boomenden Online-Versandhändlern; Servicekräfte, die sonst Passagiere hoch über den Wolken bedienten, machen nun das gleiche bei der Eisenbahn; und für entlassenes Sicherheitspersonal gibt es in Zeiten wie diesen woanders genug Arbeit. Nicht wenige dürften sich dabei verbessert haben.

Mangelnde Investitionsbereitschaft wegen der politischen Klimapläne

Der Branche wird es daher schwerfallen, die Stellen so bald neu zu besetzen. Unter dem Strich sind die Stellen jenseits von hochqualifizierten Arbeitnehmern wie Piloten oder Mechanikern bislang wenig attraktiv. Denn wie jene hat beispielsweise auch die Angestellte am Boarding eine anstrengende und stressige Arbeit, die sie zu unregelmäßigen Zeiten an wechselnden Standorten ausüben muß. Doch ihr Lohn ist dabei eher nur durchschnittlich und das soziale Netz verhältnismäßig dünn.

Das fiel bisher kaum ins Gewicht. Wer benötigt schon soziale Sicherung in einer Branche, deren Wachstum scheinbar keine Grenze kennt? Wo man mit Sonderzulagen sein Gehalt ansehnlich aufbessern kann und dabei die weite Welt kennenlernt? Und wo einem das Gefühl vermittelt wurde, auch als kleines Rädchen einer kosmopolitischen Elite anzugehören, dem sprichwörtlichen Jet-Set, dem Pulsgeber der Globalisierung, dem die Zukunft gehört. Damit ist nun Schluß. Der Held des Alltags ist nicht mehr der Flugbegleiter, der den Cocktail in 40.000 Fuß Höhe serviert, sondern der Klima-Aktivist, der vor der Flughafenzufahrt klebt. Das gegenwärtige Chaos ist daher nicht allein kurzsichtiger Unternehmensführung zu verdanken. Nicht ökonomische Sachzwänge, die Politik war es schließlich, welche die Flugzeugflotten zu Boden zwang. Und es fiel ihr um so leichter, je weiter das Ansehen einer ganzen Branche bereits zerrüttet war.

Wenn jetzt die Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Claudia Müller (Grüne), in der Bild ätzt, es sei „in der gesamten Flugbranche anscheinend zu erheblichen Fehlplanungen“ gekommen, so sollte auch gefragt werden, wer für ein politisches Klima gesorgt hat, in dem diese Fehlplanungen möglich waren. Schlußendlich sind diese auf ein Mißtrauen in die Zukunft und entsprechende mangelnde Investitionsbereitschaft zurückzuführen. Und daran sind die Grünen nicht ganz unbeteiligt sein: Erst Corona-Einschränkungen, dann ein selbst provoziertes Flugverbot über Rußland, morgen vielleicht wieder etwas Neues? Die allgemeine Verunsicherung, wie sie die Gesellschaft seit dem Lockdown ergriffen hat: Ob wir morgen noch verreisen dürfen? Und wenn ja, ob wir uns das überhaupt noch leisten können? All das setzt der zivilen Luftfahrt in allen Bereichen zu. Nicht nur der Betreiber muß abwägen, in welchem Umfang er noch investiert. Auch ein potentieller Bewerber auf eine Stelle muß sich fragen, ob sie ihm überhaupt noch eine erfolgreiche Karriere verheißt.

In vielen Fällen ist die Antwort eben negativ. Wer mag garantieren, daß nicht nächstes Jahr ein Klima-Lockdown kommt? Oder das Jahr darauf? Solange das nicht klar ist, wurstelt die Branche eben weiter. Ein Armutszeugnis, wenn sie es nicht schafft, ihren Bedarf unter den 13 Millionen EU-Arbeitslosen zu decken. Jobs mit schlechter Bezahlung und geringer Zukunftsperspektive, da sollen es eben Dumping-Löhner aus dem Nicht-EU-Ausland richten (JF 27/22). Unterstützt von einer SPD-geführten Bundesregierung.

Und mit den Grünen eine Partei als Partner, die es sich zum Ziel gesetzt hat, dem kleinen Mann das CO2-intensive Reisen zu erschweren. So ist es reichlich kurios, wenn die grüne Tourismusexpertin und Ex-Reiseleiterin jetzt schimpft: „Wir mußten alle lange pandemiebedingt aufs Reisen verzichten. Also wollen viele Menschen nun endlich wieder raus und ihre Ferien genießen. Das kann ich nur allzu gut verstehen. Daß so ein Zeitpunkt kommen würde, war auch nicht schwer vorherzusehen.“

Aktuelle Studie „Fachkräftemangel im Flugverkehr (IW-Kurzbericht 52/22):  www.iwkoeln.de/studien