© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Der Müll im Kosmos
Abgebrochene Spiegel, verlorene Schraubenzieher: Weltraumschrott ist zur Gefahr für Satelliten geworden. Lösungen sind teuer
Bernd Rademacher

Der Weltraum – unendliche Weiten … In diesen Weiten wird es zunehmend enger – und gefährlicher. Das Problem: Weltraumschrott. Abertausende Müllteile umkreisen die Erde, vom winzigen Raketen-Lacksplitter bis zum kolossalen Satellitentrümmer. Der Abfall aus dem All konzentriert sich vor allem im Bereich zwischen 800 und tausend Kilometern über der Erde.

Das kann verheerende Folgen haben: 1985 explodierte im All die oberste Stufe einer Ariane-Rakete. Zehn Jahre später traf ein Bruchstück davon mit 13 Kilometern pro Sekunde den französischen Satelliten Cerise und riß ihm eine Antenne ab. Der taumelnde Satellit konnte nur mit Not auf seiner Umlaufbahn gehalten werden.

Alle paar Wochen wird die Besatzung der ISS vor anfliegenden Satellitentrümmern gewarnt. Im November brachten sich die Astronauten schon sicherheitshalber in zwei Raumschiffen in Sicherheit, falls die gemeldeten Teile eines gesprengten russischen Satelliten die Raumstation getroffen hätten. Der deutsche Teilnehmer der ISS-Mission, Matthias Maurer, erklärte, er sei sehr erleichtert gewesen, „als die Entwarnung kam und wir zurück in die Station konnten“. Es sei problematisch, „daß wir im Weltall immer noch alles zurücklassen, was wir hochbringen und nicht aufräumen“.

2009 kollidierten die Satelliten „Iridium 33“ (USA) und „Kosmos 2251“ (RUS) in knapp 800 Kilometern Höhe über Nordsibirien. Der Zusammenprall entsprach der Wucht von zehn Tonnen TNT. Die Technik-Trabanten zerbarsten in unzählige Bruchstücke, die für Jahrzehnte um die Erde kreisen, bevor sie herabsinken und in der Atmosphäre verglühen.

Zehntausende Kleinteile und      geheime militärische Objekte

Darin besteht eine Art Selbstreinigungseffekt des Weltraums, denn der Schrott verliert langsam an Höhe und fällt irgendwann zur Erde. Die meisten Partikel kommen jedoch nie auf dem Boden an, da sie beim Eintritt in unsere Lufthülle als Feuerball enden. Doch inzwischen hat das Alteisen im All eine kritische Dichte erreicht, und der „Gegenverkehr“ für künstliche Himmelskörper nimmt immer schneller zu.

Daher sind dringend interstellare Umweltschutzmaßnahmen erforderlich, sind sich die raumfahrttreibenden Nationen einig. Theoretisch gibt es mehrere alternative Methoden, den fliegenden Müll zu entsorgen: Man könnte den Schrott auf den „Weltraumfriedhof“ der Exosphäre in bis zu 10.000 Kilometer Höhe bringen, die Zone, die von Raumstationen und Satelliten nicht genutzt wird, so ein Vorschlag der Nasa. Eine weitere Idee ist, Müllabfuhr-Satelliten ins All zu befördern, die den Schrott mit Netzen, Greifarmen oder „Gravitations-Traktoren“ (einer technisch erzeugten Anziehung) einsammeln. Dieser Plan geht auf die internationale Forschungsinitiative NEOShield („Near Earth Object“) unter Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zurück. Gemeinsam sind diesen Modellen die astronomischen Kosten.

Nicht empfehlenswert ist dagegen ein Verfahren, das die Chinesen anwandten: Sie zerschossen 2007 einen ausgedienten Satelliten kurzerhand mit einer Rakete. Folge: Die Zahl der umhersausenden Bruchstücke stieg um mehrere tausend. Die Bruchstücke kollidieren mit anderen Bruchstücken und sorgen so für immer mehr Bruchstücke. Allein im Jahr 2020 kam es zu 220 „gefährlichen Begegnungen“ mit Weltraumschrott-Partikeln.

Heute ortet das US-amerikanische Weltraum-Überwachungs-Netz („Space Surveillance Network“) über 20.000 Objekte ab einer Größe von zehn Zentimetern. Auf Basis dieser Daten gibt das US-SSN seine Warnungen an die Raumfahrt heraus. Die Internationale Raumstation ISS beispielsweise nutzt die Informationen für Ausweichmanöver – die jährlich zunehmen.

Doch über Zehntausende kleinerer Teile sowie geheime militärische Objekte weiß man nichts, beklagte ein Vertreter des DLR vergangenes Jahr im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Das Risiko ist hoch: Der Beauftragte für Weltraumtrümmer der Europäischen Weltraumbehörde ESA veranschaulichte, daß eine Aluminiumkugel von gerade einmal einem Zentimeter Durchmesser im All mit der Wucht eines Mittelklasse-Autos bei 50 km/h auf einen Satelliten trifft.

Deshalb arbeitet das DLR von Stuttgart aus an einer genaueren Ortung abgebrochener Spiegel und verlorener Schraubenzieher in der Erdumlaufbahn. Mit einem Hochleistungslaser werden die Teile in der Dämmerung vor dem dunklen Himmel angestrahlt. Anhand der tagesaktuellen Sternenkonstellation kann ein Computer die exakte Position bestimmen und ihre Flugbahn bis in tausend Kilometer Entfernung auf wenige Meter präzise berechnen.

Kollisionsgefahr mindert bereits die   Wirtschaftlichkeit von Satelliten

Damit ist die Gefahr jedoch nicht gebannt. Der beste Weg, den Weltraum sauberzuhalten, wäre Müllvermeidung. Um zum Beispiel Explosionen von Raketenstufen zu verhindern, sollten vor dem Absprengen Treibstofftanks und Batterien geleert werden. Darum steht dies auch in den Richtlinien für die Raumfahrt, die das „Inter-Agency Space Debris Coordination Committee“ (IADC) formuliert hat. Dem IADC gehören neben der NASA und ESA noch zehn weitere Raumfahrtagenturen an.

Darin steht auch, daß Raumfahrzeuge während ihrer Missionen möglichst wenig Abfall abwerfen sollen. So werden Abdeckklappen, Adapter und Sprengbolzen nicht mehr einfach abgetrennt und im All entsorgt, sondern wieder mitgenommen. Bisher sind dies allerdings unverbindliche Selbstverpflichtungen. Ein „Weltraumgesetz“ gibt es nur in Frankreich. Dort müssen private Unternehmen, die Satelliten ins All bringen wollen, viele Vorschriften einhalten. Eine weitere Idee ist, durch Beschuß mit dem Hochleistungslaser die Geschwindigkeit der Müllpartikel zu bremsen, damit sie in die Atmosphäre sinken. Allerdings benötigt so ein Powerlaser ein eigenes kleines Kraftwerk.

Ein ähnliches Verfahren, von NEOShield erdacht, soll die Erde übrigens auch gegen Asteroiden schützen: Sollte sich diese aus dem All der Erde bedrohlich nähern, können Sonden auf Parallelkurs gehen und verspiegelte Segel wie ein Brennglas auf das Objekt richten. Durch das Verdampfen seiner Oberfläche reduziert sich das Gewicht, was wiederum die Flugbahn beeinflußt, die sich somit ablenken läßt – jedenfalls in der Theorie der Wissenschaftler.

War es früher noch eine Nachrichtenmeldung, wenn ein neuer Satellit ins All geschossen wurde, kreisen heute fast fünftausend Satelliten um den Globus. Das sind rund doppelt so viele wie noch 2018, da der Betrieb immer erschwinglicher wird. Neben dem ambitionierten „Starlink“-Projekt des US-Unternehmens SpaceX, das 2021 in Europa startete, plant unter anderem auch Amazon eine Flotte von über dreitausend eigenen Satelliten.

Bei der zunehmenden Verkehrsdichte in Erdnähe wird es bald problematisch, mit einem Raumschiff noch ohne Unfall durch den Gürtel des fliegenden Schrotts zu kommen. Die Kollisionsgefahr könnte es dann wirtschaftlich unrentabel machen, Navigations- oder Mobilfunksatelliten in den Orbit zu bringen. Das Zeitfenster für eine heile Passage ins All wird enger und schwerer zu berechnen. Für bemannte Missionen zum Mond wird das zu einer fast größeren Herausforderung als die komplexe Technologie.

Rußland hatte vorgeschlagen, die Hersteller von Satelliten zu verpflichten, sich um deren Entsorgung kümmern zu müssen. Schon länger sprechen Raumfahrtnationen wie Rußland, China, die USA, Indien und die EU über eine kosmische Müllabfuhr. Bislang gibt es aber nicht einmal einen internationalen Informationsaustausch. Die ESA plante, 2025 mit „ClearSpace-1“ einen „Müllsammler-Satelliten“ ins All zu schicken, der Weltraumschrott anziehen und anschließend mit ihm verglühen sollte.

Der Ukraine-Krieg dürfte zunächst einen Strich durch ein zukünftiges gemeinsames Vorgehen gemacht haben. Da die Raumfahrt jetzt an der Schwelle zur Nutzung durch private Bürger steht, wäre es allerdings höchste Zeit, sich um die Vermüllung des Orbits zu kümmern.

Eine Animation der ESA zeigt verschiedene Arten von Weltraummüll und unterschiedliche Größen von Trümmern in der Umlaufbahn um die Erde:  https://www.esa.int

Foto: Ein computergeneriertes Bild der Europäischen Weltraumbehörde zeigt Müll im Weltraum, der neben intakten Satelliten die Erde umkreist: Mehrere hundert gefährliche Begegnungen mit Weltraumschrott-Partikeln im Jahr