© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Der Scholzomat
Tagung: Die Sprachstrategien der etablierten Parteien im Bundestagswahlkampf 2021
Oliver Busch

Anfang September vorigen Jahres, kurz vor der Bundestagswahl, fand an der Universität Trier eine Tagung der „Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik“ statt. Die dort versammelten Linguisten brauchten den Wahlausgang nicht erst abzuwarten, um anhand der von ihnen bis zu diesem Zeitpunkt  durchleuchteten Wahlkampfkommunikation die SPD und ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz als Sieger auszumachen. Das „sprachliche Handeln“ der Parteien bei ihrer Werbung um die Wählergunst hatte ihnen verraten, daß die Wahlkampfstrategen der Willy-Brandt-Hauses zwar nicht alles richtig, aber im Vergleich mit ihren Konkurrenten von CDU, FDP, den Grünen und Linken am wenigsten falsch gemacht hatten (Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, 3/2022).

Dabei war die Ausgangsposition für die SPD-Propagandisten denkbar schlecht, wie der Trierer Linguist Martin Wengeler ausführt. Bis zum Frühjahr befand sich die Partei mit 15 Prozent im Umfragetief. Und ihr Kandidat, der als Generalsekretär einst mitverantwortlich für ihre sozialpolitischen Sündenfälle war, Agenda 2010, Riester-Rente, Hartz IV, galt nicht als Anwalt der Kern-Klientel der Partei, der „kleinen Leute“. Zudem mußte seine vermutete Verstrickung in die Betrügereien rund um Cum-Ex-Geschäfte und um den Finanzdienstleister Wirecard vernebelt werden. Was zuerst und was am besten gelang, da die Probleme und Verantwortlichkeiten zu komplex und zu schwierig zu vermitteln waren, um sich für Skandalisierungen im kurzatmigen Wahlkampf zu eignen.

Das Thema „soziale Gerechtigkeit“ rückte in den Mittelpunkt

Um den Kandidaten dann vom Negativimage des kalten „Scholzomaten“ zu befreien, setzten seine Kampagnenmanager auf das schlechte Gedächtnis des Wahlvolks. Fast über Nacht besann man sich auf den nun plötzlich von Scholz verkörperten SPD-Markenkern „soziale Gerechtigkeit“, um die Stammwählerschaft zurückzuholen. Konsequent und konzentriert, selbst das Klima-Thema an den Rand verbannend, rückte das „Hochwertwort“ von der sozialen Gerechtigkeit in den Mittelpunkt der „Inszenierung des empathischen Kümmerers und Kleine-Leute-Verstehers“ Scholz. Der ferner von der Aneignung eines gerade in der Jugendkultur und dem Hip-Hop-Rap so zentralen „Hochwertworts“, dem eigentlich unpolitischen „Respekt“, profitierte, das mit penetrantem Duzen auf den Plakaten einherging. Schließlich gelang es noch, „Solidarität“, ein uraltes Zauberwort der Partei, zu revitalisieren und semantisch neu zu besetzen. Stand es zur „Klassenkampfzeit“ für die innere Geschlossenheit der Arbeiterschaft, vollzog sich während der Corona-Pandemie ein Bedeutungswandel hin zum gesamtgesellschaftlichen „Zusammenhalt“. Derart simple sprachliche Botschaften wie Gerechtigkeit, Respekt, Solidarität reichten am Ende aus, um am Wahlabend bei 25,7 Prozent zu landen.

Das Fehlen eines vergleichbar bündigen Konzepts, dies legt die Studie der Marburger Sprachwissenschaftlerin Hanna Völker und Constanze Spieß zum CDU/CSU-Wahlkampf nahe, dürfte mehr noch als der Laschet-Söder-Streit, wer von beiden der bessere Kandidat sei, der Union das Kanzleramt gekostet haben. Das Schlüsselwort und das Fahnenwort hieß „Modernisierungsjahrzehnt“. Das sollte endlich nach dem Wahlsieg beginnen, so daß die 16 Merkel-Jahre automatisch wie ein  überlanges „Verwesungsjahrzehnt“ erscheinen mußten. Auch vielfach gebrauchte neue Adjektive wie „zukunftsfest“ und „technologieoffen“ neben dem so unvermeidlichen wie öden Plastikwort „nachhaltig“ verwirrten eher, als daß sie die Verheißung stützten, die Union könne zukünftig Wachstum, Klimaschutz und soziale Sicherheit garantieren. 

Ungeachtet der Tatsache, daß er durch „verzeihliche Fehler“ ihrer Spitzenkandidatin, der „selbsternannten Völkerrechtlerin“ Annalena Baerbock, kurz nach dem Start bereits verlorenging, bescheinigen Michael Klemm und Sascha Michel (Koblenz-Landau) dem Wahlkampf der Grünen hohe Professionalität, insbesondere beim Einsatz ihrer „Social-Media-Rhetorik“. Durchweg jugendsprachlich mit der persönlichen Anrede („du“ und „ihr“) und altersgemäßem Vokabular („Bock auf grüne Themen“) daherkommend, arbeitete man mit wenigen holzschnittartigen Dichotomen wie Aufbruch – Stillstand, Erneuerung – Weiter-so-Politik.

Geschickt sei auf Instagram „Erzählen und Argumentieren“ verknüpft worden. Gerade der sich notorisch „jugendlich und unkonventionell“ gebende Co-Vorsitzende Robert Habeck, bei dem Text- und Bildpolitik zu einer „multimodalen Personality-Show“ gerieten, habe sich bei dieser Symbiose von rationalistischer Überredung und emotionaler Manipulation als Meister des menschelnden „Storytelling“ erwiesen.

Die AfD blieb auf Facebook- Beiträge beschränkt

Demgegenüber habe die FDP ihren relativen Wahlerfolg offensichtlich erzielt trotz ihrer „leeren Metaphern“ und ihrer biederen Ideologie vom wirtschaftlichen Erfolg durch technischen Fortschritt, sprachlich eingekleidet „wie vor 25 Jahren“, wie Kristin Kuck (Magdeburg) der Lindner-Truppe attestiert. Viel besser hätte nach Ansicht von Nils Dorrenbeck (Duisburg) Die Linke abgeschnitten, wenn Sahra Wagenknecht mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ nicht in den Wahlkampf gegen die eigene Partei eingestiegen wäre. Von der „vorwiegend sachbezogenen, präzisen und in sich kohärenten und inklusiven“ Wahlkampfkommunikation der Linkspartei habe sich Wagenknechts Sprache durch semantische Unschärfen und mangelnde Substantiierungen unterschieden und nicht zuletzt „das AfD-Wählen legitimiert“.

Was sich schwer nachprüfen läßt,  weil in diesem Reigen der Sprachanalysen der Bundestagswahlkampf der Alternative für Deutschland ausgespart bleibt. Ersatzweise untersucht Vanessa Kanz (Magdeburg) die „Rezipientenausrichtung der Partei auf Facebook“. Wobei sie sich für ihren Ost-West-Vergleich auf die Facebook-Beiträge der Landesverbände Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen beschränkt. Mit dem für diese Sorte von parteiischer „Analyse“ nie überraschenden Resultat, den Groschen, den man in den Automaten steckt, auch wieder herauszubekommen. In den Netz-Beiträgen der AfD sieht Kanz daher nur „populistische Anpassung an antidemokratisches Potential“, das die AfD mit zweierlei „Opferdiskursen“ bediene. Im Westen würden die Nutzer gezielt als potentielle Opfer von „Migrantengewalt“ angesprochen, im Osten präsentiere sich die Partei selbst häufig als Opfer, aber nicht von importierter, sondern von einheimischer „linker Gewalt“.

Ohne sich ihre Geschichte mit kriminalstatistischer Recherche selbst kaputtzumachen, folgert Kanz, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. In Nordrhein-Westfalen gaukle die Partei den Bürgern darum die „vermeintliche Lebensrealität“ einer nur „scheinbar existierenden Gefahrenlage“ vor, in der es weder Schutz noch Sicherheit vor Gewaltverbrechen von Personen gebe, die allein aufgrund „äußerer Merkmale und vorherrschender Ressentiments Migranten“ zugeschrieben würden. Damit schüre die AfD bewußt „Angst und Abneigung gegenüber denjenigen, die Gewalt ausüben“. Ja, wo kommen wir denn da hin! Abneigung gegen Verbrecher! Entschieden weniger „populistisch“ wäre es dann offenbar aus Kanz’ Perspektive, denen mit Zuneigung zu begegnen. Ebenso sollte wohl die sachsen-anhaltinische AfD verfahren, um nicht länger ihren Einbildungen nachzuhängen und sich als Opfer linksradikaler Gewaltkriminalität zu „stilisieren“. Oder gar mit solcher „sprachlichen Adressatenausrichtung“ zu suggerieren, sie sei die einzig verbliebene Opposition in einem von „Blockparteien“ beherrschten, demokratischen Verhältnissen Hohn sprechenden  politischen System. Auf diese Weise säe die AfD-Rhetorik unnötige „Zweifel an der Demokratiefähigkeit der etablierten Parteien“. 

Aptum – Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur

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