© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Thalers Streifzüge
horsten Thaler

Die wegen coronabedingter Ausfälle jetzige Häufung von Konzertterminen führt zu eigentümlichen Abfolgen und damit verbundenen Wahrnehmungen. Sonntag bei der US-amerikanischen Singer-Songwriterin und Rockmusikerin Melissa Etheridge im Berliner Tempodrom: lesbische Paare so weit das Auge reicht. Tags darauf, am Montag dieser Woche, bei der britischen Heavy-Metal-Band Iron Maiden in der Waldbühne: hoher männlicher Testosteronspiegel im Publikum.


Lesefrucht: „Eine freie Welt kann nur eine geistige Welt sein. Die Freiheit wächst mit dem geistigen Überblick, mit der Gewinnung fester, erhöhter Standorte. Dort werden die Tatsachen erkannt und wiedererkannt, und damit wird es möglich, sie zu benennen, zu ordnen und in ihrem Gang zu bändigen.“ (Ernst Jünger 1967 in seinem Vorwort zu der von ihm und Mircea Eliade herausgegebenen Kulturzeitschrift Antaios, zitiert aus: Sämtliche Werke, Bd. 14, S. 167)

Empfehlung: In politisch wirren Zeiten die Haß- und Schmähreden Michael Klonovskys lesen.

Urlaubslektüre: Wieder einmal läßt Jean-Luc Bannalec seinen Kommissar Dupin in der Bretagne ermitteln. In seinem 11. Fall („Bretonische Nächte“, Kiepenheuer & Witsch) geht es um den Tod der 89jährigen Tante seines Inspektors Kadeg und einen Angriff auf diesen auf dem Anwesen der Verstorbenen, einer ehemaligen mittelalterlichen Abtei samt Parkanlage. Die Handlung spielt im Norden des Finistère an der Mündung des Aber Wrac’h zwischen großen Meeresarmen und dem wilden Atlantik. Bannalec, der Künstlername von Jörg Bong, läßt diesen Landstrich und seine Schauplätze hinreißend plastisch vor Augen treten: „Hinter der ehemaligen Abtei erhob sich ein dicht bewaldeter Hügel. Sanft und harmonisch stieg er an und schirmte die Abtei wie ein gigantischer Wall vom Inland ab. Die gesamte Anlage, das von den Mauern umgebene Reich, sah aus wie hingezaubert. Wie immer hatten die Mönche genau gewußt, wo sie sich niederließen. (…) Es war eine friedliche Welt, eine himmlische Welt. Eine Idylle. Zumindest bei diesem sagenhaften Sonnenschein, der zusammen mit einem beeindruckend steifen Wind heute auch den Norden der Bretagne regierte. Ein Wind aus Nordwesten, schwer bepackt mit Salz und Jod vom offenen Atlantik. Der Ort hatte eine besonders starke Aura. Dupin lag nichts ferner als Mystizismus, aber so etwas gab es: Orte, an denen man etwas Derartiges spürte. In diesem Fall eine helle, kristalline Aura, eindeutig keine finstere.“


Wer hingegen in politisch wirren Zeiten wie diesen auf „rechtspopulistischen Oppositionsklimbim, effekthascherisch, da und dort auch pseudointellektuell, vorgetragen mit leicht durchschaubarer antistereotyper Attitüde“ steht, dem sei das Buch „Im Ernstfall gibt es keine Konstrukte“ empfohlen. Es enthält die „schönsten Haß- und Schmähreden“ des Publizisten Michael Klonovsky, sieben Stück an der Zahl, gehalten zwischen 2018 und 2020 (Edition Sonderwege/Manuscriptum, 164 Seiten, broschiert, 16 Euro). Köstlich zum Nachlesen. Und um Mißverständnissen vorzubeugen: Die hier eingangs zitierte Einordnung stammt von dem Autor höchstselbst aus seinem Vorwort.