© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Befreit Sissi!
Kino: „Corsage“ läßt Kaiserin Elisabeth von Österreich der höfischen Etikette entfliehen und endet als feministisches Pamphlet
Dietmar Mehrens

Es mache sie krank, schimpft die Kaiserin von Österreich, „mit einem Kilo Blech auf dem Kopf rumzustehen und mich begaffen zu lassen“. Das hätte Romy Schneider mal sagen sollen. Da wär’ was losgewesen! Doch die Zeiten haben sich geändert: Wer wie die drei legendären „Sissi“-Filme aus den fünfziger Jahren die Pracht der Monarchie feiern, mit Wehmut an eine versunkene Epoche erinnern und den Zuschauer ein Nostalgie-Bad in einem strahlenden Farbenmeer nehmen lassen wollte, würde imperiale, womöglich koloniale Klischees bedienen. Und natürlich würde es dafür aus den üppig gefüllten Filmfördertöpfen keinen müden Heller geben. 

Ganz anders sieht es dagegen aus, wenn man eine Beschäftigung mit Elisabeth dezidiert als Anti-“Sissi“ etikettiert. Man kann sich förmlich vorstellen, wie sich das in den zahlreichen Anträgen bei Förderanstalten in Deutschland, Österreich und Luxemburg angehört hat: „Unser Filmprojekt wagt eine radikal neue Sicht auf Kaiserin Elisabeth. Ihr Kampf für ein selbstbestimmtes Leben ohne Rücksicht auf die Zwänge und Konventionen des Feudalismus und ihr Widerstand gegen das von Kaiser Franz Joseph verkörperte Patriarchat sind ein starkes Statement für die Rolle der Frau im 21. Jahrhundert“ usw. usf. Wenn Claudia Roths Augen zu leuchten beginnen, hat man im Antrag alles richtig gemacht.

Im Bett mit ihrem Cousin Ludwig II. von Bayern

„Corsage“ beginnt kurz vor Elisabeths 40. Geburtstag Ende 1877 und endet ein knappes Jahr später. In diesem Zeitraum darf der Kinogänger der berühmten Kaiserin (Vicky Krieps) dabei zusehen, wie sie immer engagierter versucht, die Fesseln der Konvention abzuwerfen. Er sieht sie als empathiefähige Irrenhausbesucherin. Er sieht sie in England mit ihrem Reitlehrer anbandeln. Er sieht sie posieren vor einer der ersten Filmkameras. Er sieht sie im Bett mit ihrem Cousin Ludwig II. von Bayern (Manuel Rubey) und mit ihrem Mann Franz Joseph I. (Florian Teichtmeister), dessen bedauernswerte Libido vom Pflichtbewußtsein ertötet scheint. Man sieht sie mit ihrer jüngsten Tochter Valerie (Rosa Hajjaj), die sich mit der höfischen Etikette viel leichter tut als die Monarchin. Man sieht sie noch in allerlei anderen Situationen, eine so belanglos und nichtssagend wie die andere. 

Man fragt sich, wie phantasiearm eine Filmemacherin sein muß, um ein derart inhaltsloses Werk abzuliefern. Als böte die Vita von Kaiserin Elisabeth „Sisi“ von Österreich nicht Anknüpfungspunkte zur Genüge: Lungenkrankheit, Andrássy-Affäre, Mordanschlag, ganz zu schweigen von den vielen hochbrisanten politischen Entwicklungen in der k. u. k. Monarchie, die in die Zeit ihrer Herrschaft fielen. Marie Kreutzer, die auch das Drehbuch schrieb, hätte nur eines von diesen Themen herauszugreifen und daraus einen zentralen Konflikt zu destillieren brauchen – den Rest hätte die brillante Bildgestaltung von Kamerafrau Judith Kaufmann erledigt.

Doch keines von diesen Themen interessiert die Regisseurin. Sie interessiert allein Sisis Befreiung aus dem Gefängnis ihrer historisch bedingten Benachteiligungen. Ihr Blick gilt den gesellschaftlichen Normen der Doppelmonarchie, die selbst eine so mächtige Frau wie Kaiserin Elisabeth gar nicht richtig Frau sein ließen. Er gilt Zwängen, Einengungen, Beschränkungen und Elisabeths Aufbegehren dagegen, zu dessen Illustration fette Symbole aufgeboten werden: Die Regisseurin läßt ihre Heldin zur Zigarette, zur Heroinspritze, zur Schere greifen, um sich selbst die Haare abzuschneiden. Im italienischen Ancona läßt sich die Kaiserin sogar eine Seemannstätowierung stechen (in Wahrheit erst 1888). Und jedes Korsett, das ins Bild kommt, ist automatisch immer auch Metapher. Irgendwann hat auch der Blödeste kapiert: Diese Sisi (die übrigens, auch das eine Botschaft, im Film niemals Sisi genannt wird) ist keine Heimatfilm-Ikone, sondern die Ikone einer feministischen Befreiungsaktion.

Und so sind selbstredend auch ORF, ZDF und Arte gern mit an Bord gekommen bei der Produktion des superspröden Pseudo-Historiendramas, das in Wahrheit nichts weiter ist als die Projektion einer Frau von heute auf die historische Person von damals. Immerhin eines muß man Marie Kreutzer lassen: Mit so viel Geld so wenig zu erzählen ist irgendwie schon auch eine Kunst.


Kinostart ist am 7. Juli 2022