© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Finanz-Youtuber in der Baisse
Geld machen, indem man anderen erklärt, wie man Geld macht?
Lukas Steinwandter

Ihre Zuschauerzahlen gehen schneller nach oben als die Börsenkurse: Finanz-Youtuber verzeichnen seit zwei Jahren enormen Zulauf. „Moment bitte!“ werden Börsianer nun einwenden, die Charts sind gerade tiefrot und zeigen nach unten. Stimmt, dazu aber später mehr. Für die Betreiber von Kanälen wie „Finanzfluß“, „Aktien mit Kopf“, „Finanztip“ oder „EchtgeldTV“ läuft es gut. Der größte deutschsprachige Finanzkanal, das 2015 von Thomas Kehl gegründete „Finanzfluß“ zählt fast eine Million Abonnenten. Klassische Finanzmedien können da bei weitem nicht mithalten. Auch „Finanztip“ (360.000 Abonnenten) und „Aktien mit Kopf“ (300.000 Abonnenten) erreichen mit ihren Videos Hunderttausende Menschen.

Woher rührt der Erfolg? Eine wahre Rallye erfuhren die Finanz-Influencer kurz nach Beginn der Corona-Pandemie. Nach dem Börsencrash Ende Februar und Anfang März 2020 schnellten die Kurse V-förmig nach oben. Plötzlich begannen sich vor allem junge Menschen mit dem Parkett zu beschäftigen. Das gestiegene Interesse schlug sich auch in den Zahlen des Deutschen Aktieninstituts nieder. 2019 gab es etwas mehr als 9,5 Millionen deutsche Aktiensparer. 2021 waren es schon 12,1 Millionen, ein Anstieg von fast 30 Prozent.

Für die Youtuber, die teilweise schon seit Anfang der 2010er Jahre aktiv sind, bedeutete das einen enormen Boom. Denn vor allem jüngere Aktionäre oder solche, die es werden wollen, gehen nicht zum Sparkassenberater, sondern informieren sich (zunächst) vor allem über das Internet. Und die erste Wahl ist dort häufig Youtube. Natürlich verfolgen die Videoentwickler auch banale finanzielle Interessen, wie der auf Mallorca lebende Kolja Barghoorn vor kurzem klarstellte. Der gebürtige Berliner war Fitneßtrainer und betreibt seit 2013 „Aktien mit Kopf“. Der Quereinsteiger informiert seine Zuschauer mehrmals die Woche über grundlegende und aktuelle Finanzthemen. Wie viele andere auch verdient er sein Geld auf Youtube über Werbung und mit der Vermittlung von Onlinebrokern oder Finanztools.

Das bedeutet aber nicht, daß solche Kanäle reine Aufmerksamkeitshascherei ohne echten Mehrwert bieten würden. Wer lernen möchte, wie die Börse funktioniert, wie man kostengünstig und nachhaltig investiert oder wie aktuelle Finanz- und Wirtschaftsthemen aus verschiedenen Gesichtspunkten zu bewerten sind, erhält bei ihnen einen guten Überblick. Neben den mittlerweile fest in der Szene etablierten Quereinsteigern wie Barghoorn arbeiten auch altgediente Profis wie der vielgefragte Dividendenexperte Christian W. Röhl („EchtgeldTV“) oder gelernte Investmentbanker wie Kehl von „Finanzfluß“ mit Youtube-Videos. Auch Fondsmanager wie Max Otte oder Markus Elsässer nutzen die Plattform. Für den erfahrenen Value-Investor Elsässer liegt das gestiegene Interesse an Finanz-Kanälen vor allem an der gestiegenen Skepsis an den Institutionen: „Langsam schwant es auch dem Letzten, daß das Großbankensystem und der Staat in puncto ‘mein privater Vermögensaufbau’ kritisch zu beäugen sind. 

Umorientierung ist angezeigt für die Youtube-Anlageratgeber

Die Skepsis ist groß, die Verunsicherung noch größer“, erklärt Elsässer gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Der Rheinländer, der mehrere Jahre als Manager in China gearbeitet hatte, später einen Fonds gründete und Bücher über Arbeit, Geld und Leben schrieb, tadelt die mangelhafte Finanzbildung vieler Deutscher. „Ohne einen guten Umgang mit Geld und Kapital steht es schlecht um jemandes Leben. Schulen, Elternhäuser, Universitäten versagen ja von Generation zu Generation auf diesem Gebiet in Deutschland. Das ist sicher kein Zufall. Das kann ich so aber nicht akzeptieren. Wer um Rat gefragt wird und kompetent ist, muß auch Rat geben und helfen.“

Ähnlich sieht das auch das Präventionsnetzwerk Finanzkompetenz. Daß die Szene der Finanz-Influencer so rasant wuchs, sei „eine Schelte für die Politik, die sich ihrer Bildungsverantwortung entzieht“, kommentierte Vorstand Birgit Happel gegenüber der Welt am Sonntag. Grundsätzlich sei der Auftrieb solcher Finanzkanäle aber eine positive Entwicklung. Allerdings warnte die Volkswirtin vor fehlenden Qualitätsstandards und riet, Nutzer sollten sich immer eine zweite Meinung holen.

Tatsächlich ist nach der zweijährigen Hausse (Aufwärtsbewegung des Kurses) bei den Finanz-Influencern nun eine Baisse (Abwärtsbewegung) zu beobachten, was dazu führt, daß einige Kanäle dazu übergehen, ihre vor Monaten gepredigten Strategien über Bord zu werfen. Das ist nicht verwunderlich, schließlich unterliegen Youtuber der Aufmerksamkeitsökonomie und den Plattformalgorithmen. Wer Aufmerksamkeit will, muß ständig neue, mitunter durch reißerische Titel hervorstechende Themen bieten. Das wiederum widerspricht jedoch der erfolgreichen, aber langweiligen Anlagestrategie des ETF-Sparens, also der regelmäßigen Investition in einen passiv verwalteten und breit diversifizierten Aktienfonds. Einmal angelegt, läuft der zweiwöchentliche oder monatliche Sparplan allein weiter – idealerweise bis ins Rentenalter.

Für Youtuber ist das aber ziemlich langweilig. Einmal die Woche seinen Zuschauern erklären, sie mögen doch einen Sparplan einrichten und daran festhalten, ist für beide Seiten des Bildschirms öde. Zudem können Werbepartner nach zwei Jahren auch einmal abspringen. Oder es tauchen neue auf, für die Youtuber insgeheim gar nicht werben wollen, es des Geldes wegen aber müssen. Auf diese Umstände machte Mitte Mai auch der Kanal „Homo Oeconomicus“ aufmerksam. Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet dieses Video war eines seiner erfolgreichsten in den vergangenen Monaten. Für die Finanz-Youtuber hat wie für die Aktionäre auch ein neuer Zyklus begonnen.

Foto: Expertenrat muß nicht teuer sein: Es ist gut, sich eine zweite Meinung zu holen