© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Der Staat, der alles rettet
Ihr werdet sein wie Gott
Reiner Osbild

Die Idee des Gottesstaates ist nicht neu. Päpste und Klerus übten über Jahrhunderte hinweg erhebliche Macht aus. Die weltlichen Herrscher verstanden sich in der Regel als Christen. Heute ist es umgekehrt: Die Kirche äfft nach, was Regierung und Nichtregierungsorganisationen vorgeben. Minderheiten-, Gesundheits- und Klimaschutz sind zum neuen Evangelium geworden.

Wo immer Staaten die geistliche Oberhoheit anstrebten, hatten die Gläubigen einen schweren Stand, siehe die Christenverfolgungen im real existierenden Sozialismus, heute in Kuba und Nordkorea. In unseren Breiten ist dies anders, denn die offiziellen Staatskirchen sind weitgehend zu nützlichen Idioten der fortschreitenden Zivilreligion geworden, und deren Gott ist der Staat.

Dieser Gott ist allwissend, omnipotent, souverän, lebenserhaltend, sozial, solidarisch, unendlich gut, liebevoll, empathisch. Die geschulten Theologen mögen die fehlende Vollständigkeit der Attribute verzeihen.

Wie stellen wir uns den Staat vor? Traditionell, im „Westen“, wünschen wir eine ordnende Macht, die in unserem Zusammenleben für Recht und Gerechtigkeit sorgt, unsere Freiheit schützt, uns Sicherheit bietet und den Rahmen für unser Wohl und Gedeihen festlegt.

Die „Zuständigkeiten“ überschneiden sich. Daher hat der Staat sein Mandat immer mehr ausgedehnt und maßt sich göttliche Weisheit und Allmacht an. Ob Migration, Klima, Wirtschaft, Währung, Gesundheit: kein Problem, das für unsere Politiker zu groß wäre. Alles ist möglich, Turmbau zu Babel 2.0. Je ungebildeter das Politprekariat, desto berauschender seine wählerbeglückenden Allmachtsphantasien.

Ein gutes Beispiel ist der Klimawandel. Durch Justierung der CO2-Menge, die in die Atmosphäre steigt, will man die Weltdurchschnittstemperatur regulieren. Mehr noch: Deutschland allein reduziert das CO2 heute und – da doch alle dem guten Beispiel folgen – die Erdtemperatur morgen. Es ist, als könne man das Weltklima regulieren wie die Raumtemperatur durch Drehen am Thermostat. Eine infantile Vorstellung, aber gehört nicht gerade den Kindern das Reich Gottes?

Leider ist das Weltklima ein solch komplexes Gebilde, daß ein singulärer Eingriff, mit dem zugleich eine ganze Volkswirtschaft umgekrempelt wird, eine Anmaßung von Wissen darstellt, wie Friedrich A. von Hayek es ausdrücken würde. Der Gedanke, das Klima könne Teil der göttlichen Schöpfung sein, ist für die Priester der Zivilreligion unerträglich. Denn der Gott der Zivilreligion ist ein eifersüchtiger Gott (ein vorhin vergessenes Attribut, sorry an die Theologenzunft), der keine anderen Götter neben sich duldet, schon gar keinen Schöpfergott. Also besetzt der übergriffige Allmachtsstaat diese offene Stelle und macht sich daran, das Klima nach seinen eigenen Vorstellungen neu zu schaffen.

Ein weiterer Grundwiderspruch entspringt der absehbaren und notwendigen Verarmung der Bevölkerung. Der Preis für CO2 soll ja gerade steigen, damit Bürger und Wirtschaft weniger fossile Brennstoffe verbrauchen. Damit sind unzweifelhaft Wohlstandsverluste, gar Verarmung verbunden. Die wiederum kann ein guter, sozialer und solidarischer Gott, so wie ihn der Staat abgibt, nicht hinnehmen, und so wird er den Bürger entschädigen. Gerade das treibt aber wieder die CO2-Bilanz nach oben, denn der durch Tankrabatt, Energiegeld, Wohngeldzuschuß wiederbelebte Staatsgläubige wird – man muß es so deutlich sagen – neuerlich sündigen und Geld für Dinge ausgeben, die CO2 erzeugen. Ein konsequenter Gott, der den schmalen Weg im Diesseits anbefiehlt für den größeren Gewinn im Jenseits, ist nicht en vogue.

Apropos Sünde: Fliegen und Fleischessen müssen immer häufiger gebeichtet werden; Flugscham hätte das Wort des Jahres 2020 werden können, doch in allerletzter Sekunde grätschte der Greta die „Corona-Pandemie“ dazwischen. Gottes Hand war auch hier schnell zur Stelle: Kontaktverfolgung und -verbote, Lockdowns, Impfungen, 2G, 2G+, 3G, kleinteilige Verordnungen ohne Ende, die selbst die detaillierten Ritual- und Opfervorschriften des Alten Testaments in den Schatten stellten.

Und fürwahr, der Staatsgott schenkte vielleicht ein paar Monate Gnadenfrist für die Alten, Kranken und Gebrechlichen. Das wäre sogar richtig gut gewesen, hätte der falsche Gott nicht die Lebensmonate an anderer Stelle gestohlen: bei den Nicht-Behandelten, Nicht-Operierten, Impfopfern, zwangsweise Vereinsamten – Einsamkeit gilt weltweit als Todesursache Nummer eins. Weiter wären da die vielen zusätzlichen Suizide, die Opfer von Gewalt, psychischer Schädigung, Zwangsheirat, Hunger und Tod in der Dritten Welt. Der falsche Gott kann nichts schaffen, er kann nur nehmen und umverteilen. Wie im Sozialismus. Dort war der Gottesstaat ein übergroßer Robin Hood, der von den Reichen (Bourgeoisie) nahm und es den Armen (Proletariern) gab, bis es die bourgeoisen Unternehmer nicht mehr gab.

Der Staat rettet aber nicht nur Klima und Leben, sondern ist drauf und dran, den Garten Eden wiederherzustellen. Bedingungsloses Grundeinkommen ist das Zauberwort. Der gute Gott gibt jedem, soviel er zum Leben benötigt. Keiner soll mehr gezwungen werden, im Schweiße seines Angesichts zu schuften um der puren Existenz willen. Kommet her zum Staatsgott, die ihr mühselig und beladen seid.

Und die Götter haben sich dafür etwas Tolles ausgedacht: die Notenpresse. Sie druckt das Geld, das allen zuteil wird. Schon die Corona-Krise war ein Musterbeispiel, gab man doch den Bürgern wie auch den Unternehmern reichlich frisch gedrucktes Geld in die Hand, während man zugleich die Betriebe schloß. Die Kinder der Zivilreligion freuten sich über die schönen Glasperlen. Bald bekommen sie Bürgergeld und werden nicht mehr mit der diskriminatorischen Frage behelligt, ob sie sich nicht selber helfen könnten? Daß das Ganze auf Pump finanziert wird, braucht die Götter nicht zu grämen, denn die Schulden werden ja von Generation zu Generation weitergereicht bis in Ewigkeit, Amen. Auch die, die wir für Europa und den Euro aufnehmen. Und da ein richtiger Gott für alle da ist und allen das Paradies zukommen läßt, darf auch kein Zaun um den Garten Eden herum sein. Nieder mit den Grenzen, Freibier für alle.

Leider spielt aber auch hier der Staatsgott mit gezinkten Karten. Wer garantiert uns, daß wir uns von dem gedruckten Geld etwas kaufen können – Stichwort Inflation. Wer bestellt denn die Äcker dieser Welt, wer bespielt die Fabriken, und wer erbringt die Dienstleistungen von A wie Automechaniker bis Z wie Zahntechniker, wenn man einmal die Fleißigen und Gelehrten und Gebildeten vergrault hat mit übermäßigen Steuern und Vorschriften? Der Kettenbrief der Schulden kann weitergegeben werden; Fleiß, Risikobereitschaft und Produktivität nicht.

Keine Religion ohne Messe. Diese findet nicht nur einmal in der Woche, sondern praktisch jeden Tag statt und hat moderne Namen wie „Tagesschau“ und Talkshow. Keine Religion ohne Sünde – wir geißelten bereits Flüge und Fleisch. Keine Religion ohne Vergebung: die öffentlichen Reuebekundungen von Joshua Kimmich bis Xavier Naidoo erlaubten es den Zivilgläubigen, die Abtrünnigen wieder gnädig aufzunehmen. Die Abbitte kommt heutzutage in einem feschen Insta-Video daher – was für ein Fortschritt gegenüber der grau-tristen Kälte Stalinscher Gerichtssäle oder dem Muff mittelalterlicher Beichtstühle! Auch der Gott des Klimas und der Impfung duldet keine Götzen neben sich. Er ist rachsüchtig, wo immer den Götzen der Vernunft und Freiheit gehuldigt wird und schließt diese unwürdigen Geschöpfe vom öffentlichen Diskurs aus. Der zuständige Priester heißt Faktenchecker, die Exkommunikation erfolgt mit rituellen Worten wie „Nazi“, „*leugner“ und „-phob“.

Um nicht der Blasphemie zu verfallen: Dem neuen Gott ist die Schöpferkraft nicht abzusprechen: Das mit den zwei Geschlechtern ist ein alter Hut, die Zuckerberger Domspatzen pfeifen bereits 60 Geschlechtsidentitäten von den Dächern. Genderlehrstühle sprießen wie Pilz:innen aus dem Boden und entwickeln einen Entdeckergeist, der selbst Christoph Kolumbus vor Neid erblassen ließe.

Der Gott des Klimas kann auch Wunder tun. Er wandelt nicht mehr Wasser in Wein, nicht einmal in Bio-Burgunder, sondern Wind und Sonnenstrahl in Strom, und das ist besser als die schlechte grundlastfähige fossile Energie von gestern. Physikalische Gesetze werden aufgehoben im Evangelium der Energiewende. Dumm nur, wenn die Götter dabei erwischt werden, Atomstrom aus Frankreich zu ordern oder Gas aus Rußland. Denn die Kinder von Väterchen Staat wollen doch auch des Nachts ihre Smartphones aufladen und die großen Kinder ihre Elektroautos. Naja, das mit dem Gas der Russen war wohl nichts, auch Götter sind fehlbar, ebenso Göttinnen – schließlich beansprucht ja dieses eine der 60 Geschlechter 50 Prozent der lukrativen Stellen. Wie rief der alt­testamentarische Prophet schon vor 2.700 Jahren: „Kinder sind Gebieter meines Volkes, und Frauen herrschen über sie. Mein Volk, deine Leiter verführen dich und zerstören den Weg, welchen du gehen sollst“ (Jesaja 3,12).






Prof. Dr. Reiner Osbild, Jahrgang 1962, ist Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Emden/Leer. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die verheerende Bilanz der Amtszeit von Merkel („Die Wertevernichterin“, JF 39/21).

Foto. Modernes Gottesgnadentum (hier auf Schloß Meseberg): Das Bundeskabinett macht aus Volksbeglückungsphantasien Politik