© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Spärliche Beleuchtung im altrömischen Darkroom
Der Althistoriker Michael Sommer will „die ganze Wahrheit über das Imperium Romanum“ erzählen, aber verharrt im Konventionellen
Thomas Schäfer

Wenn es heute irgendwo besonders unmoralisch, lasterhaft und zügellos zugeht, dann hört man oft den Satz: „Zustände wie im Alten Rom!“ Und tatsächlich waren die Menschen im Imperium Romanum alles andere als sittenstrenge Unschuldslämmer. Das soll nun auch das Buch „Dark Rome. Das geheime Leben der Römer“ aus der Feder des Oldenburger Althistorikers Michael Sommer zeigen. Darin geht es um ganz unterschiedliche Themenkomplexe: Sexualität, Geheimschriften und verbotene Bücher, Spione und Wunderwaffen, Giftmischerei und Drogenmißbrauch, Schwarze Magie, Verschwörungen und Geheimlogen, Kriminalität bis hin zum Meuchelmord sowie im verborgenen praktizierte Riten.  

Allerdings ist vieles davon beileibe nicht so „dark“ oder „geheim“, wie der Verlag in seiner Werbung behauptet, in der er zugleich boulevardesk „die ganze Wahrheit über das Imperium Romanum“ und einen „Blick in die Abgründe der römischen Antike“ verspricht. Jeder, der sich etwas in der Geschichte der Antike auskennt, weiß doch beispielsweise, daß pornographische Darstellungen im römischen Reich sehr verbreitet waren. Oder daß viele Kaiser durch ihre sexuellen Eskapaden auffielen. Genausowenig Neuigkeitswert besitzen Sommers Ausführungen über die Kriegszüge des karthagischen Feldherrn Hannibal Barkas. Wobei dieses Beispiel auf ein weiteres Manko des Buches hinweist: Mal will es in die Sozialgeschichte des Alten Rom einführen und dann wieder in die politische Geschichte der damaligen Zeit, womit letztlich oft der rote Faden verlorengeht. Stellenweise drängt sich sogar der Eindruck auf, daß es dem Verfasser an ausreichend Stoff zum eigentlichen Thema gemangelt hat, weswegen er seine Schilderungen des historischen Kontextes über Gebühr in die Länge ziehen mußte.

Dazu kommt Sommers Erzählstil: Während die Überschriften noch recht pointiert formuliert sind und dadurch neugierig machen, folgt dann leider allzuoft nur Langweiliges. So beginnt ein Kapitel mit der Überschrift „Thymele hat einen fetten Arsch“, wonach es dann aber umgehend wieder auf trocken-professorale Weise weitergeht: „Die Sexualmoral war in hohem Maße asymmetrisch.“ Unangenehm fallen zudem auch Spekulationen auf, welche offensichtlich nur dem Zweck dienen, den Text aufzublähen. Auch hierzu ein Exempel: Erst beschreibt Sommer das „Firmenschild eines stadtrömischen Bordells (…), auf dem drei nackte tanzende Mädchen und eine sitzende, bekleidete Frau dargestellt waren“. Anschließend räumt er allerdings ein, daß es auch denkbar sei, „daß auf dem Bild keine Prostituierten, sondern die drei Grazien zu sehen sind: Dann würde es sich bei dem Kunstwerk um ein Grabrelief handeln.“

Andererseits bietet der – leider freilich nur extrem kurze – Abschnitt „Enigma“ über römische Geheimschriften einiges Wissenswertes, wobei die Passagen über kryptographische Verfahren der Ägypter, Babylonier und Spartaner sowie die Kurzschriften nach Art der von Cicero verwendeten Tironischen Noten letztlich aber ebenfalls vom Thema wegführen. 

Das Kapitel „Im Dienste seiner Majestät“ wiederum liefert einen durchaus wertvollen Beitrag zur ansonsten meist sträflich vernachlässigten Geheimdienstgeschichte. Vielfach wird kolportiert, daß Spione beziehungsweise Nachrichtendienste ein Phänomen der Neuzeit seien. Dabei resultierten militärische Erfolge auch in der Antike nicht selten aus dem effektiven Wirken getarnter Kundschafter. Die Streitkräfte der Römischen Republik entwickelten nach anfänglichen Startschwierigkeiten eine beachtliche Professionalität auf geheimdienstlichem Gebiet. Daß Rom in der Folgezeit derart expandieren konnte, wurde also oftmals dadurch ermöglicht, daß es seinen Gegnern in puncto Informationen voraus war. Deren Beschaffung oblag militärischen Spezialisten wie den speculatores, welche Cäsar schon im Gallischen Krieg einsetzte, um den Feind und das Gefechtsfeld zu erkunden. Dazu kamen dann später noch die exploratores, die zumeist nichtrömischen Ethnien angehörten und ebenfalls als Späher im Feindesland operierten. Von denen brauchte es vor allem auf dem Höhepunkt der Ausdehnung des Imperium Romanum im 2. Jahrhundert n. Chr. beachtliche Mengen, betrug die Länge der Außengrenzen des Reiches, deren Vorfeld permanent überwacht werden mußte, seinerzeit doch um die 7.500 Kilometer.

Im Inneren des Imperiums hingegen waren ab etwa 100 n. Chr. ebenfalls zum Militär gehörige frumentarii aktiv, deren Aufgabe darin bestand, die Untertanen des Kaisers zu bespitzeln und auszuhorchen. Allerdings konzentrierten sie sich vorrangig auf die Eliten, denn eine allzu große, flächendeckend agierende „Geheimpolizei“ konnte sich das römische Reich, welches bei 60 Millionen Einwohnern lediglich etwa 500.000 Mann unter Waffen stehen hatte, nicht leisten.

Ungeachtet solch aufschlußreicher Passagen hinterläßt „Dark Rome“ dennoch einen zwiespältigen Eindruck. Um als tiefgründiges sozialgeschichtliches Spezialwerk durchzugehen, fehlt es an Substanz sowie Konzentration auf das eigentliche Thema. Dazu kommt „Dark Rome“ einfach zu konventionell, theoretisierend und arm an spannenden Details daher. Zumal auch die Bebilderung in Schwarz-Weiß ziemlich karg und lieblos wirkt.

Michael Sommer: Dark Rome. Das geheime Leben der Römer. Verlag C. H. Beck, München 2022, gebunden, 288 Seiten, 23 Euro