© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/22 / 08. Juli 2022

Eine Insel auf dem Trockenen
In Großbritannien müssen immer mehr Pubs dichtmachen
Julian Theodor Islinger

Kenner wissen: Die wichtigste Institution in Großbritannien ist das Königshaus. Doch gleich danach kommt der Pub mit seiner langen, bis auf die Römerzeit zurückgehenden Geschichte und Funktion als soziales Schmiermittel der britischen Gesellschaft. Zwei Wochen lang war die JUNGE FREIHEIT in Schottland, um sich ein Bild darüber zu machen, wie es um die dortige Kneipenkultur nach fast zweieinhalb Jahren Corona und Brexit bestellt ist. Als Bestandteil der britischen Identität ist der Pub so ikonisch, daß der Zustand dieser Institution immer auch Politikum ist. Wer als Volksvertreter ein bürgernahes Image pflegen möchte, findet dort eine geeignete Kulisse, um sich als gesellig und bodenständig zu inszenieren.

Boris Johnson beherrscht dieses Spiel mit den Sehnsüchten seiner Landsleute wie kein zweiter. Bilder, die ihn beim Pub-Besuch mit einem Pint zeigen, findet man wie Sand am Meer. Als im Frühjahr 2021 nach einer langen Zeit des Lockdowns endlich wieder die Kneipen ihre Pforten öffnen durften, ließ es Johnson sich natürlich nicht nehmen, ein Bad in der Menge zu nehmen, denn der Andrang in den britischen Schankstuben war zu dieser Zeit enorm.

Cocktails und Tapas statt Kartoffelbrei und Bratwurst

Die Bilder der landesweiten Wiedereröffnung hätten einen schnell auf eine Renaissance der britischen Kneipenkultur hoffen lassen können, doch in Wahrheit steht es darum nicht besonders gut. Schon seit Jahren ist das viel betrauerte Pub-Sterben ein Thema unter den Insulanern. Allein in England und Wales mußten 2021 mehr als 400 Pubs schließen, in Schottland waren es gut 200. Viele Pubs versuchen sich mit einer hipperen Getränkeauswahl über Wasser zu halten. Wo es früher maximal Faßbier und einige Spirituosen gab, werden jetzt Cocktails zu Tapas gereicht. Andere Kneipen haben sich vom klassischen „Bar Food“ wie Steak and Ale Pie und Bangers and Mash verabschiedet, um eine anspruchsvollere Kundschaft zu locken. So etwa im „Loch Lomond Arms“ an den Ufern des vielbesungenen Sees. Die Gaststube des frisch renovierten Inns ist hell und freundlich. An den Tischen sitzen gutgekleidete Menschen, die nach einer ausgedehnten Wanderung ihr Lunch genießen. „Wir verwenden lokale Zutaten und alte schottische Rezepte, aber alles ein wenig pfiffiger gekocht, als man es aus einem klassischen Pub kennt“, erläutert unsere Bedienung, als wir die Speisekarte studieren. 

Das Konzept scheint aufzugehen. Immer wieder halten Land Rover vor dem Lokal und bringen neue Gäste an die Eßtische. Entsprechend höher fallen auch die Preise auf der Speisekarte aus. Am Ende des Besuchs ist klar, daß die wenigsten Gäste im „Loch Lomond Arms“ aus dem Ort selbst stammen. Verwundert darf darüber niemand sein. Wer mit einem konstanten Zustrom von Touristen rechnen kann, setzt sich vom Gros der aussterbenden Pubs ab, die nicht den Luxus haben, entlang der malerischen Reiserouten zu liegen.

Das wird besonders deutlich, als wir auf unserem Weg Richtung Oban immer wieder durch abgelegenere Ortschaften kommen, deren einziger Pub inzwischen geschlossen ist. Oft künden nur verblassende Goldlettern an den Fassaden vom einstigen Schankbetrieb. Viele Fenster sind eingeschmissen. Während der Pub in früheren Zeiten immer auch ein Ort war, an dem Klassenunterschiede aufgehoben wurden, zwingt heutzutage gerade die hohe Besteuerung von Kneipenbier die unteren Einkommensschichten, daheim zu trinken. Aber Pubs nur für zahlungskräftiges Publikum sind ein Widerspruch in sich.

„Johnson muß an die Biersteuer ran und die Pachtkosten senken!“

Im einsam gelegenen Kirkcolm finden wir mit dem „Blue Peter“ doch noch einen klassischen Pub. Dicke Perserteppiche dämpfen unsere Schritte. An den Wänden hängen maritime Memorabilia. Aus einem Fernseher in der Ecke schallt uns Brit-Pop entgegen. Die Gäste im „Blue Peter“ lachen, als wir auf das Thema Corona und Lockdown zu sprechen kommen. „Wir sind so weit weg vom Schuß“, erzählt uns Barkeeper Eric mit verschmitztem Gesicht, „daß wir uns während des Lockdowns einfach weiter im Hinterzimmer getroffen haben.“ Ob sie denn keine Angst vor der Polizei gehabt hätten? Wieder Lachen. Der Dorfpolizist hätte doch mitgetrunken. Und plötzlich sind wir beim Thema Boris Johnson. Denn der Partygate-Skandal sorgt auch im abgelegenen Kirkcolm für Unmut. „Da wurde sprichwörtlich mit zweierlei Maß gemessen“, schimpft ein Gast. Der Hinweis, daß Johnson selbst gerne in Pubs geht, vermag die Gemüter nicht zu kühlen. „Wenn er wirklich was für die Pubs machen möchte, dann muß er an die Biersteuer ran und die Pacht senken.“ Daß Johnson die Kneipen schließen ließ, während er selbst Partys feierte, das verzeiht ihm hier niemand. „Jetzt sieht man ihn wieder in den Pubs, aber für ihn ist das nur eine Bühne und keine Herzensangelegenheit“, gibt uns Eric noch mit auf den Weg, als die Sperrstunde das Ende des Abends markiert. Zum Abschied lassen wir ihn wissen, daß wir gerne wiederkommen. „Dann bitte bald“, antwortet Eric und fügt britisch-humorig, aber nicht ohne Ernst hinzu: „Wer weiß, ob es uns in den nächsten zwei Jahren erwischt.“