© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/22 / 15. Juli 2022

Solidarität über die eigene Scholle hinweg
Düngeverordnung: Deutschlands Bauern unterstützen die Proteste ihrer Kollegen in Holland / Betriebe und Lebensmittelversorgung gefährdet
Christian Vollradt

Traktoren mit schwarz-rot-goldenen und rot-weiß-blauen Fahnen, Anhänger, an denen Spruchbänder befestigt sind – im gesamten Bundesgebiet haben an den vergangenen Tagen Bauern ihre Solidarität mit ihren Berufskollegen in Holland demonstriert. Die kämpfen mit massiven Protesten und Blockaden noch ungleich härter um ihre Existenz. 

Vielen landwirtschaftlichen Betrieben im Nachbarland – laut Expertenschätzungen bis zu 30 Prozent – droht das Aus, wenn sich die Regierung mit ihren Plänen zur Stickstoffreduktion durchsetzt. Und was in jüngster Zeit in den Niederlanden passiert sei, komme mit einer Zeitverzögerung auch hierzulande an, so die Befürchtung vieler deutscher Bauern. 

Wenn sie also mit ihren Maschinen eine Zeitlang am Wochenende schwerpunktmäßig in Nord-rhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt Brücken über Autobahnen blockierten, dann ist das auch als Fingerzeig in Richtung der deutschen Politik zu verstehen. Mancher Demonstrant  macht keinen Hehl daraus, daß er das ungleich härtere Vorgehen der Kollegen in Holland für vorbildlich hält. 

„Die kämpfen für die richtige Sache“

Der Druck auf die Entscheidungsträger in Bund und Ländern müsse viel größer werden. Denn wenn in den sogenannten „roten Gebieten“ bis zu zwanzig Prozent weniger gedüngt werden darf, als was die Pflanzen zum Wachstum bräuchten, gehe es auch vielen Bauern hier an die Existenz. Gerade in Krisenzeiten halten das viele schlicht für Wahnsinn. 

Wütend sind sie außerdem darüber, daß einseitig der Landwirtschaft die zu hohen Nitratwerte im Grundwasser angelastet werden. So warnte der bäuerliche Zusammenschluß „Land schafft Verbindung“ (LsV) vor einer „unfachlichen Stickstoff-Reduktion bis hin zum totalen Bewirtschaftungsverbot“. Dies würde die Lebensmittelversorgung in Deutschland gefährden, mahnte der Verband. Denn würden weniger Nahrungsmittel in Deutschland oder der EU erzeugt, verschärfe sich die Abhängigkeit von Importen aus dem Ausland. „Angesichts dieser Aussichten müßten eigentlich nicht nur Abertausende Schlepper hupend in Berlin und Brüssel stehen, sondern auch Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger, um für ihre sichere Ernährung zu kämpfen“, wunderten sich die beiden Sprecher des bayerischen LsV-Ablegers, Rainer Seidl und Claus Hochrein. 

Niedersachsens Landvolk-Präsident Holger Hennies betonte jedoch trotz allen Verständnisses für die Wut der Bauern in Holland, daß die Situation im Nachbarland doch eine etwas andere sei, da dort die Viehbesatzdichte – also die Anzahl von Nutztieren im Verhältnis zu der für diese Tiere genutzten Agrarfläche – zweieinhalb mal so hoch sei. 

Auch wenn man „nicht jedes Detail der Probleme und Proteste beurteilen“ könne, kämpfen die niederländischen Berufskollegen „für die richtige Sache“, ist der Bundessprecher der Freien Bauern, Alfons Wolff, überzeugt. Darum beteilige sich die Interessenvertretung der bäuerlichen Familienbetriebe in Deutschland auch an den hiesigen Solidaritätsaktionen. Das Verhalten der Regierung in Den Haag sei dagegen verantwortungslos, so Wolff. Auch die Politik der Bundesländer, in Berlin oder Brüssel mache mit „angeblichen Umweltauflagen“ den Berufsstand mürbe. „Jeder bäuerliche Familienbetrieb, der unter den gegenwärtigen agrarpolitischen Bedingungen solide weiter wirtschaftet, leistet Widerstand.“ Vor der „Entschlossenheit und dem Durchhaltewillen“ der protestierenden Kollegen in Holland habe man größten Respekt. 

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