© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/22 / 15. Juli 2022

Es könnte frostig werden
Drohender Energie-Engpaß: Wie die Kommunen sich mit Spar-Appellen gegen einen Mangel an Gas wappnen wollen
Christian Schreiber

Die Sorge vor einem Gasmangel und explodierenden Energiekosten hat nun auch die Kommunen erreicht. Mehrere deutsche Städte planen den Betrieb von sogenannten Wärmestuben, um Menschen in der kalten Jahreszeit vor dem Frieren zu schützen. Dabei will man auf die Struktur zurückgreifen, die bisher vor allem bei der Versorgung von Obdachlosen oder Flüchtlingen genutzt wurde. „Da niemand genau sagen kann, wie dramatisch die Entwicklung sein wird, sollte auch überlegt werden, Wärmeinseln oder Wärmeräume vorzusehen, wo sich insbesondere ältere Menschen auch bei sehr kaltem Wetter aufhalten können“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. 

Gleichzeitig intensivieren die Kommunen ihre Maßnahmen, um bei möglichem Gasmangel weniger Energie zu verbrauchen. Die Stadt Bamberg vermeldete, alle Ampeln und Laternen seien nun auf LED-Technik umgerüstet, Augsburg verzichtet weitestgehend auf Fassadenbeleuchtungen und schaltete viele Brunnen ab, in Nürnberg schlossen Ende der Woche bis zunächst Ende September drei der vier Hallenbäder. Gleichzeitig werde die Badesaison in den Freibädern verlängert. Und die Verwaltung der bayerischen Landeshauptstadt München hat in den Freibädern die Wasser-Temperatur abgesenkt. Der Städte- und Gemeindebund stellte unterdessen warmes Wasser in Verwaltungsgebäuden in Frage. In der Debatte um mögliche Gas-Einsparungen sagte Landsberg, daß man dies dort „in der Regel ja wohl nicht“ brauche. Anders sehe es aber in Kindergärten und Krankenhäusern aus. 

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat zudem eine Prüfung angekündigt, ob man Gebäudeteile der Landesverwaltung demnächst nur noch in Teilen beheizt. Die Möglichkeit ergebe sich durch „geänderte Arbeitssituationen“ wie Homeoffice-Regelungen, sagte das Finanzministerium gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Einzelne Ministerien planen zudem, Klimaanlagen herunterzudrehen und Warmwasser in Küchen und Waschräumen zu reduzieren.

Bei vielen Kommunen wächst vor allem die Sorge vor einer Insolvenz städtischer Firmen, weil man die explodierenden Kosten nicht unmittelbar an den Verbraucher weitergeben könne. Der Bund müsse die Stadtwerke „unter den Schutzschirm für die Wirtschaft stellen“, sagte Städtetagspräsident Markus Lewe gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Und wir brauchen Bürgschaften und Kredite für betroffene Versorger sowie ein Insolvenzmoratorium, um die Pflicht zu Insolvenzanträgen auszusetzen. Die Stadtwerke versorgen Millionen Haushalte, Gewerbe und die Industrie vor Ort. Nahverkehr, kommunale Krankenhäuser, Müllabfuhr und Bäder hängen daran“, betonte der CDU-Politiker Lewe, der auch Oberbürgermeister von Münster ist.“ Die Lage sei hochdramatisch. 

„Jeder muß im nächsten  Winter ein Viertel Gas sparen“

Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Andreas Jung forderte die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, daß flächendeckend in öffentlichen Gebäuden Energie gespart wird. „Deshalb muß jetzt Olaf Scholz ran: Er muß kurzfristig einen umfassenden Energiesparplan im Kanzleramt umsetzen, dasselbe allen Ministerien verordnen und es für alle Bundesliegenschaften initiieren“, sagte der christdemokratische Energieexperte.

Kein Thema mehr ist für die Union unterdessen die Forderung nach einem sofortigen Ausstieg aus russischem Gas. Nun setzen alle politischen Parteien darauf, die Gasspeicher im Sommer möglichst aufzufüllen, um auch auf ein Ausbleiben von Gaslieferungen aus Rußland vorbereitet zu sein. „Die Lage ist ernst und kann jederzeit weiter eskalieren“, befürchtet Jung. Die Vorgehensweise der Politik ist nachvollziehbar, soll sie doch den guten Willen und die Bereitschaft zeigen, gewisse Dinge vorzuleben. Denn die Angst wächst, daß es auch für die Verbraucher einen sprichwörtlichen Kälteschock geben wird. 

In der vergangenen Woche hatte Deutschlands größter Immobilienbetreiber Deutsche Wohnen angekündigt, die Heizungen nachts herunterzufahren. Man wolle damit eine finanzielle Überforderung vor allem von Familien vermeiden. Die Bundesregierung will unter allen Umständen verhindern, daß Privathaushalten Strom oder Gas abgestellt wird. „Es kann passieren, daß die Bundesnetzagentur im absoluten Krisenfall Energieunternehmen erlaubt, gestiegene Preise trotz Preisgarantie an die Verbraucher weiterzugeben“, sagte Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) der Bild am Sonntag. „Wir brauchen dann für die Verbraucher ein Moratorium für Strom- und Gassperren. Und im Krisenfall müßten wir auch über ein weiteres Hilfspaket entscheiden.“ Niemandem dürfe in solch einer Krisensituation der Strom oder das Gas abgestellt werden, weil er mit der Rechnung in Verzug sei. Im Krisenfall müsse auch über ein weiteres Hilfspaket entschieden werden, erklärte die Ministerin weiter. 

Um welche Größenordnung es geht, verdeutlicht der Energie-Experte Markus Penth, vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg: „Wir müssen Gas sparen – schnell und dauerhaft. Ziel muß sein, daß jedes Unternehmen, jeder Gebäudeeigentümer, jede Heizkesselbetreiberin im nächsten Winter 25 Prozent Gas einspart.“ 

Foto: Älteres Ehepaar in seiner Wohnung: Niemandem soll wegen gestiegener Kosten in der kalten Jahreszeit Strom oder Gas abgestellt werden