© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/22 / 15. Juli 2022

Schlimmer geht immer
Sri Lanka: Der Inselstaat im Indischen Ozean wird von Unruhen geschüttelt / Nach der politischen droht eine schwere Wirtschaftskrise
Florian Werner

Der Präsidentenpalast in Colombo sah aus wie ein Freizeitpark: Tausende Demonstranten flanierten durch das Fitneßstudio des sri-lankischen Staatsoberhaupts Gotabaya Rajapaksa oder sprangen in den Pool auf dem Innenhof des herrschaftlichen Anwesens. Die Polizei ließ die Menge gewähren – wohlwissend, daß sich bei den Protestlern viel Frust angestaut hatte. Seit Monaten herrscht in dem Inselstaat eine Benzin- und Lebensmittelkrise. Wenige Tage vor der Erstürmung des Palastes wurde der Verkauf von Sprit an Privatpersonen untersagt. Immer wieder kam es bei Demonstrationen gegen Mißwirtschaft und Korruption zu Ausschreitungen. Allein in den letzten Tagen wurden dabei mindestens 95 Menschen verletzt. Der Präsidentenpalast war dabei nicht das einzige Regierungsgebäude, das von wütenden Menschenmassen überrannt wurde. Mit dem Anwesen des sri-lankischen Ministerpräsidenten Ranil Wickremesinghe machte die Menge kurzen Prozeß und setzte es in Brand. Seitdem sind sowohl Präsident Rajapaksa als auch Regierungschef Wickremesinghe auf der Flucht. Daß die beiden Politiker den zwei großen Parteien Sri Lankas angehören – Sozialisten und Liberalkonservativen – zeigt, daß das politische System des Landes insgesamt in Frage steht.

Das südasiatische Land ist deshalb mittlerweile auch international zum Sorgenkind geworden. „Dies ist ein entscheidender, aber auch riskanter Augenblick in der Geschichte Sri Lankas. Deshalb fordern wir alle Seiten dazu auf, das sri-lankische Parlament mit Respekt und Umsicht bei diesem Übergang zu unterstützen“, unterstrich laut der sri-lankischen Zeitung The Island etwa die Botschafterin der Vereinigten Staaten in Colombo, Julie Chung. Sie rief sowohl die Demonstranten als auch die Polizisten vor Ort dazu auf, friedlich zu bleiben. Vor allem die guten Beziehungen zur Volksrepublik China dürften der Diplomatin dabei die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Denn das kommunistische Land dehnt seinen Einfluß in Sri Lanka immer weiter aus – zuletzt hatte China dort den Ausbau eines großen Industriehafens mitfinanziert, der auch für die von Peking forcierte „Neue Seidenstraße“ von Bedeutung ist.

Sri Lanka hat 50 Milliarden Dollar Auslandsschulden angehäuft

Darüber hinaus haben die beiden Länder in der Vergangenheit auch bei Rüstungsfragen immer wieder eng zusammengearbeitet. Außerdem leben viele Auslandschinesen auf der Insel, die bis ins Jahr 1972 noch Ceylon hieß. Für die Amerikaner geht es dabei auch um ihre Interessen im Südchinesischen Meer – denn Sri Lanka steht bei den Territorialstreitigkeiten zwischen China, Indonesien und den Philippinen klar auf chinesischer Seite.

Die guten Beziehungen zum kommunistischen Riesen ändern allerdings nichts daran, daß Sri Lanka wirtschaftlich bankrott ist. 50 Milliarden Dollar Auslandsschulden hat das Land bereits angehäuft. Geld, das der Inselstaat nicht hat, weshalb er sich nun hilfesuchend an den Internationalen Währungsfonds (IWF) wendet. Aber auch in politischer Hinsicht steht das Land vor einem Scherbenhaufen. Am 20. Juli sollen Neuwahlen die Lage beruhigen. Auch die Bildung einer Expertenregierung, die ökonomische Reformmaßnahmen einleitet, ist im Gespräch. Doch diese könnten die sozialen Verwerfungen auf der Insel auch noch weiter zuspitzen und zu neuen Protesten führen. Die beiden gestürzten Politiker Rajapaksa und Wickremesinghe haben das zweifelhafte Glück, nicht mehr aufräumen zu müssen, was sie an Zuständen im Land hinterlassen haben.