© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/22 / 15. Juli 2022

Nur wenige Zentralbanken können der Dollarstärke widerstehen
Euro und Yen im freien Fall
Thomas Kirchner

Wer hat dies gesagt: „Seien wir ehrlich: Europa ist ein Museum, Japan ein Altenheim und China ein Gefängnis“? Nein, nicht Donald Trump, sondern Larry Summers, einst Finanzminister unter Präsident Bill Clinton. Seit der Harvard-Professor nun doch nicht zum Fed-Gouverneur ernannt wurde, nimmt er kein Blatt mehr vor den Mund und äußert unverblümt, daß der Dollar alternativlose Leitwährung sei. Und tatsächlich erweist sich der Greenback erneut als sicherer Hafen. Er ist derzeit wegen der US-Zinserhöhungen gegenüber fast allen Währungen stark.

Fast auf Parität ist der Euro zum Dollar abgerutscht und damit auf dem Niveau der Jahrtausendwende, seit die US-Zentralbank Fed die Inflation mit Zinserhöhungen eindämmen will, während die EZB mit Rücksicht auf hohe Staatsschulden und Rohstoffkosten weitaus langsamer reagieren dürfte. Deutsche Bank und Citigroup peilen schon einen Kurs von 0,95 Dollar pro Euro an. Die EZB befindet sich in einem ähnlichen Dilemma wie die Bank of Japan (BoJ), die angesichts einer Staatsverschuldung von 270 Prozent der Wirtschaftsleistung die Zinsen zehnjähriger Anleihen auf 0,25 Prozent begrenzt. Mit dieser „Zinskurvenkontrolle“ durch den Aufkauf von Staatspapieren finanziert die BoJ ein riesiges Etatdefizit. Die Nebenwirkung ist eine Yen-Abwertung um 20 Prozent.

Japans Staatsverschuldung ist zwar extremer als die Italiens („nur“ 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), aber beide Länder stellen die Notenbanken vor das gleiche Dilemma: spürbare Zinserhöhungen würden eine Staatspleite auslösen. Die japanische Inflationsrate ist mit 2,5 Prozent zwar niedriger als die von Italien (6,8 Prozent), aber das dürfte nicht so bleiben. Beide Länder sind auf zahlreiche Importgüter angewiesen. Eine Inflationsspirale entsteht, wenn sich die Einfuhren durch den schlechteren Wechselkurs verteuern und die Geldentwertung weiter anheizen. Eine Haushaltskonsolidierung wird dann noch schwerer. Deshalb steigen die Schulden weiter, was Zinserhöhungen dauerhaft erschwert. Die Zeiten sind vorbei, als eine schwache Währung als konjunkturfördernd galt. Bei hohen Rohstoff- und Energiepreisen verschärft eine schwache Währung eine schwierige Lage. Japan hatte seit den 1990er Jahren ein Konjunkturprogramm nach dem anderen aufgelegt. Ein hoher Schuldenstand der Unternehmen ließ das Deflationsrisiko als besonders hoch erscheinen. Doch der Gesamtschuldenstand änderte sich nicht, die Ausgabenprogramme verlagerten die Schulden lediglich vom Privatsektor auf den Staat.

Die Lage in Japan scheint nun ernster als in Europa – und sie zeigt, was auch hierzulande droht: Entweder, die Zinsen auch für italienische Anleihen werden steigen, oder der Außenwert des Euro wird ähnlich stark verfallen wie der Yen. Anleger bezweifeln, daß Japan ohne Verwerfungen aus der Staatsschuldenfalle kommt. Entsprechende Finanzspekulationen gibt es allerdings seit den 1990er Jahren. Sie scheiterten und sind als „Witwenmacher“ verschrien: Staatsanleihen und Yen leerverkaufen. Doch jetzt bleiben nur Zinserhöhung oder Abwertung der Währung, möglicherweise beides. Der einstige Witwenmacher könnte eine gewinnbringende Strategie werden. In Europa ist diese Strategie gleichermaßen erfolgversprechend. Nur wenige Währungen können der Dollarstärke widerstehen. Neben dem Rubel und dem brasilianischem Real ist es der andere sichere Hafen, der Schweizer Franken.