© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/22 / 15. Juli 2022

Krieger mit zwei Schwertern
Paris ist eine Reise wert: Das Nationale Museum der asiatischen Künste zeigt in einer Ausstellung die Welt der Samurai
Karlheinz Weißmann

Es dürfte keine Zeit gegeben haben, in der hierzulande die Bedeutung des japanischen Wortes „bushido“ – „Weg des Kriegers“ so bekannt war wie in der Gegenwart. Das hat auch mit dem Namen eines bekannten (oder berüchtigten) Rappers zu tun, mehr aber mit dem Einfluß, den Japan in den vergangenen Jahrzehnten auf die westliche Populärkultur genommen hat und weiter nimmt. In der Ausstellung „L’arc et le sabre“ – „Der Bogen und das Schwert“, die das Pariser Musée Guimet zur Bilderwelt des Samurai zeigt, kommt auch dieser Aspekt zum Tragen. Da werden die Verarbeitungen in japanischen Mangas und Anime ebenso berücksichtigt wie die Adaption der Samuraiklingen in Gestalt der „Lichtschwerter“, die für die Star-Trek-Saga eine Rolle spielten, da geht es um Akira Kurosawas Meisterwerk „Die sieben Samurai“ und dessen Übernahme in der Welt der Western, um Tom Cruise in „Last Samurai“ (2003), aber auch um Alain Delon als eiskalten Killer in „Le Samourai“ (1967).

Die Faszination, die die Figur des Samurai in Europa wie Nordamerika bis heute ausübt, hat trotzdem immer etwas Exotisches bewahrt. Was sich vor allem mit dem Abstand gegenüber der japanischen Zivilisation erklärt. In der gibt es – trotz aller massiven Umbrüche, die sie erlebt hat – ein starkes Moment der Kontinuität und der Identifizierung mit jenen Männern, die das Recht hatten, zwei Schwerter zu tragen. Ein Privileg, das auf eine Phase der Geschichte zurückging, die man mit Recht als „japanisches Mittelalter“ bezeichnet hat.

Tatsächlich ähneln sich bestimmte Züge der Entwicklung des Abendlandes und Japans bis zum Beginn der Neuzeit auf erstaunliche Weise. Das gilt vor allem für die Durchsetzung eines Feudalsystems, das auf dem Grundsatz beruhte, daß ein Herr seinen Gefolgsleuten für deren Militärdienst Land und Leute gab.

Die Pariser Ausstellung zeigt als eines der ersten Objekte eine archaische Tonfigur, die zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert entstanden sein dürfte und wohl einen hochgestellten Mann darstellt, der sein Schwert gleichermaßen als Waffe wie als Rangzeichen trägt. Das Aussehen eines Kämpfers der Völkerwanderungszeit hätte sich kaum unterschieden, und auch die später sehr aufwendige Ausstattung der Samurai mit Rüstung und Helm, Schwert, Schild und Lanze und diejenige europäischer Ritter wies zahlreiche Parallelen auf.

Allerdings wird an den Stücken, die die Pariser Ausstellung zeigt, sehr schnell deutlich, daß alles, was die japanische Kriegerklasse betraf, von einem wesentlich stärkeren Formwillen bestimmt war als das, was man in Europa mit dem Rittertum und seinen Idealen verknüpfte. Das begann bei der Heraldik der „Mon“, ging über die Gestaltung und Qualität der Waffen, die Stilisierung der Kampfweise bis zu dem besonderen Ehrenkodex, den man als „bushido“ bezeichnete.

Ein Abschnitt der Schau ist dem Schriftsteller Mishima gewidmet

Das Musée Guimet macht dessen Bedeutung anhand einer Reihe wertvoller Drucke deutlich, die die berühmte Geschichte der „47 Ronin“ zeigen. Als „Ronin“ wurden herrenlose Samurai bezeichnet. Im Fall der „47 Ronin“ ging es um die Gefolgschaft des Daimyo Asano, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts wegen einer Verfehlung hatte Seppuku (Selbsttötung durch rituelles Bauchaufschlitzen) begehen müssen. Im Grunde war Asano Opfer einer Intrige des Hofmeisters Kira geworden, weshalb seine Männer sich entschlossen, Vergeltung an demjenigen zu üben, der für den Tod ihres Herren verantwortlich war. Den wiegten sie dadurch in Sicherheit, daß sie geschickt vortäuschten, sich in ein unehrenhaftes Dasein ergeben zu haben. Tatsächlich verfolgten sie aber energisch einen Racheplan, wohlwissend, daß sie dadurch selbst ihr Leben verwirkten. Die Ronin drangen in die Festung ihres Feindes ein und töteten ihn. Danach stellten sie sich und begingen wie Asano Seppuku. Ihre Gräber am Sengaku-ji-Tempel sind bis heute ein wichtiger Erinnerungsort Japans.

Seine Bedeutung erklärt sich daraus, daß die Samurai – obwohl historisch gesehen eine relativ kleine Elite – für die Japaner insgesamt eine Identifikationsgröße sind. Dabei spielt die Tradition romantischer und heroischer Erzählungen eine Rolle, in deren Mittelpunkt sie stehen. Entscheidender ist aber, daß die Samurai im Zuge der sogenannten Meiji-Epoche, die die Modernisierung Japans durch eine Revolution von oben einleitete, zwar ihre Standesrechte – darunter das, die zwei Schwerter zu tragen –, verloren und ihr Widerstand dagegen gnadenlos niedergeworfen wurde, sie aber gleichzeitig zum Muster des männlichen Japanertums aufstiegen.

Wenn man der Pariser Ausstellung ein Defizit vorhalten will, dann ist es die Unterschätzung dieses Aspekts: den entscheidenden Einfluß des Samurai-Ideals auf die Schaffung einer nationalen Identität und den Aufstieg Japans, das schon am Beginn des 20. Jahrhunderts in der Lage war, den weißen Großmächten von gleich zu gleich gegenüberzutreten. Im Grunde kommt dieser Zusammenhang nur in seiner exzentrischen Spätform zur Geltung. Denn ein Abschnitt der Ausstellung ist dem Schriftsteller Mishima Yukio gewidmet, unbestritten einer der bedeutendsten Autoren seines Landes, der sich in der Tradition der Samurai verstand. Er inszenierte 1970 einen merkwürdigen „Putsch“, der – wie von ihm erwartet – scheiterte, woraufhin er nach dem Vorbild seiner Helden Seppuku beging. Das berühmte Foto Mishimas, das ihn mit nacktem Oberkörper zeigt, das Sonnenbanner Japans als Stirntuch, das Katana vor sich ausgestreckt, wird in Paris mit seinen Sätzen zusammen gezeigt, in denen er sich zum Ethos des „bushido“ bekennt.

Die Ausstellung „L’arc et le sabre – Imaginaire guerrier du Japon“ ist im Pariser Museum Guimet, 6, place d’Iéna, bis zum 29. August zu sehen. Der Katalog in französischer Sprache mit 120 Seiten und 65 Abbildungen kostet 16,50 Euro.

 www.guimet.fr

Foto: Utagawa Hiroshige, Der nächtlicher Angriff, Teil 2, Einbruch ins Haus (Youchi ni, rannyû), aus der Serie „Die Rache der treuen Gefolgsleute (Chushingura)“, ca. 1834/39: Die 47 Rōnin, herrenlose Krieger, rächten im Januar 1703 den Tod ihres Fürsten. Für Japaner sind die Samurai eine Identifikationsgröße