© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/22 / 15. Juli 2022

Blamage für das Empire
Die Zurückweisung des Dampfers „Exodus“ mit einwandernden Juden der britischen Mandatsmacht in Palästina löste 1947 internationale Proteste aus / Kalkül zionistischer Gruppen ging auf
Thomas Schäfer

Am 2. November 1917 gab der britische Außenminister Arthur Balfour die nach ihm benannte Deklaration ab. Darin hieß es, die Regierung in London betrachte die „Gründung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ mit Wohlwollen und werde die „größten Anstrengungen unternehmen, um das Erreichen dieses Ziels zu erleichtern“. Nach der Zerschlagung des Osmanischen Reiches übertrug der Völkerbund Großbritannien das Mandat für Palästina – unter der Bedingung einer Umsetzung der Balfour-Deklaration, wozu auch und gerade die Zulassung der Einwanderung von Juden gehörte. Wegen des Widerstandes der Araber verfuhr das Empire in diesem Punkt jedoch bald immer restriktiver. 

Das wurde insbesondere dann zum Problem, als die europäischen Juden, welche den Holocaust überlebt hatten und nun zumeist heimatlos waren, zu Hunderttausenden nach Palästina drängten. Großbritannien reagierte darauf im November 1945 mit einer Seeblockade vor der Küste des „Gelobten Landes“, während paramilitärische zionistische Untergrundgruppen wie der Mossad le Alija Bet (Institut für Einwanderung) der Jewish Agency und die Haganah (Verteidigung) alles daransetzten, diese Blockade zu unterlaufen und die von der Mandatsmacht sabotierte Einwanderung zu forcieren. Dabei wurden zwei Strategien verfolgt: Zum ersten sollten viele kleine Schiffe Kurs in Richtung Palästina nehmen, um die britische Marine durch ihre schiere Menge zu überfordern. Andererseits war geplant, die Weltöffentlichkeit auf die prekäre Situation der Juden aufmerksam zu machen, indem man auch einige sehr große Dampfer mit mehreren tausend Menschen schlagzeilenträchtig auf den Weg schickte. Dabei erwies sich die zweite Verfahrensweise letztendlich als politisch wirkungsvoller, wie der Fall des Flüchtlingsschiffes „Exodus“ zeigt.

London veranlaßte, daß die Juden in deutsche Lager kamen

Der 1927 in Wilmington (Delaware) vom Stapel gelaufene Dampfer hatte unter dem Namen „President Warfield“ bereits zwanzig Jahre als Vergnügungsdampfer und Truppentransporter gedient, bevor er vom Mossad le Alija Bet auf einem Schiffsfriedhof in Baltimore entdeckt und von der Haganah für 60.000 Dollar gekauft wurde. Sein geringer Tiefgang sollte es ihm ermöglichen, näher an die palästinensische Küste heranzufahren als jedes britische Kriegsschiff. Unter der Führung des Kapitäns Ike Aronowicz und des Haganah-Agenten Jossi Harel erfolgten zunächst aber erst einmal grundlegende Umbauten an der „President Warfield“, so daß diese nun statt 400 bis zu 5.000 Passagiere aufnehmen konnte.

In der Nacht vom 9. zum 10. Juli 1947 gingen dann im Hafen von Sète an der französischen Mittelmeerküste 4.515 jüdische Flüchtlinge aus den Sammellagern rund um Marseille an Bord des Schiffes, darunter auch 650 bis 950 Kinder. Anschließend lief der brechend volle Dampfer am 11. Juli trotz aller britischen Proteste an die Adresse Frankreichs mit Ziel Palästina aus. Während der Überfahrt wurde er von mehreren Zerstörern der Royal Navy und dem Kreuzer „HMS Ajax“ beschattet. Am 17. Juli fand vor der Küste von Gaza eine feierliche Umbenennung der „President Warfield“ in „Exodus from Europe 1947“ statt. Darüber hinaus hißte das Schiff die weißblaue Flagge mit dem Davidstern.

Weil die nunmehrige „Exodus“ ihre Fahrt trotz eines Ultimatums fortsetzte, unternahm die britische Marine am 18. Juli zwanzig immer brachialer verlaufende Versuche, den Dampfer zu entern, bei denen es insgesamt um die 200 Verletzte und vier Tote gab. Auf jüdischer Seite starben der Bootsmann William Bernstein sowie die Passagiere Mordechai Boimsteing und Zvi Jakubowitz. Der Widerstand auf dem Flüchtlingsschiff erlosch erst, als die britischen Soldaten ihre Schußwaffen einsetzten, um die Nahkämpfe zu beenden.

Nachfolgend wurden die Passagiere der „Exodus“ im Hafen von Haifa zwangsweise an Bord der bereits wartenden Deportationsschiffe „Ocean Vigour“, „Runnymede Park“ und „Empire Rival“ verschleppt und im Rahmen der „Operation Oasis“ nach Frankreich zurückgebracht, weil die bislang genutzten Internierungseinrichtungen für unerwünschte Einwanderer in Palästina sowie auch auf Zypern hoffnungslos überfüllt waren. Da sich aber fast alle Juden weigerten, in Frankreich an Land zu gehen, beschloß London ein Exempel zu statuieren und die Flüchtlinge nach Deutschland zu schaffen.

Bei der Ankunft im Hafen von Hamburg am 8. September 1947 drängten 300 britische Besatzungssoldaten die Menschen von den Schiffen und transportieren sie hernach in zwei Lager bei Lübeck, aus denen die „Exodus“-Passagiere dann später in ähnliche Camps in Emden und Wilhelmshaven verlegt wurden. Die Briten sperrten also Tausende jüdische Holocaust-Überlebende unter Einsatz von Gewalt in mit Wachtürmen und Stacheldraht gesicherte KZ-ähnliche Lager auf deutschem Boden, was ein verheerendes internationales Echo auslöste und die Mandatsmacht Großbritannien außenpolitisch isolierte – selbst der engste Verbündete USA äußerte sein völliges Unverständnis. 

Damit beschleunigten die Vorfälle von vor 75 Jahren den britischen Rückzug aus Palästina, was wiederum die Gründung des Staates Israel vorantrieb, die dann zum 14. Mai 1948 erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt saßen die meisten Passagiere der „Exodus“ immer noch in den beiden Lagern in Norddeutschland fest, denn die wurden erst im Juli 1948 geräumt. Parallel hierzu bekam der britische Staat damals eine Rechnung der Hamburger Polizei zugestellt, welche für 105 ausgeliehene Schlagstöcke, die bei der „Ausschiffung“ der Juden eingesetzt, danach aber nicht zurückgegeben worden waren, 255 Mark und 38 Pfennige verlangte.