© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/22 / 15. Juli 2022

Hanoi-Jane erzürnt die USA
Vietnamkrieg: Vor fünfzig Jahren polarisierte die Hollywood-Schauspielerin Jane Fonda mit ihrer Protestreise ins kommunistische Feindesland
Marcel Waschek

Schwere US-amerikanische Bomber fliegen durch die Nacht auf ihr Ziel zu. Leuchtspurmunition aus nordvietnamesischen Flugabwehrkanonen peitscht in langen Fäden durch die Dunkelheit. Ein Jäger, der die Bomber schützen sollte, explodiert in der Luft, von Flak-Garben getroffen. Am Boden schießen Männer und Frauen an den Geschützen aus allen Rohren. Beide Seiten zeigen in den Kämpfen um den vietnamesischen Luftraum große Tapferkeit. 

Die Filmschauspielerin Jane Seymour Fonda, Tochter des Navy-Offiziers und bekannten Schauspielers Henry Fonda, hatte zu Beginn des Vietnamkonfliktes nach eigenem Bekunden grundsätzlich die USA auf der guten Seite verortet und an die Rechtmäßigkeit des Krieges geglaubt. Während eines Paris-Aufenthalts knüpfte sie jedoch Kontakte zu Intellektuellen und Kommunisten, welche sie überzeugten, daß der US-Einsatz unrechtmäßig sei. Im April 1970 startete sie zusammen mit Fred Gardener, Donald Sutherland und dem unehrenhaft entlassenen Armeearzt Howard Levy sowie weiteren Schauspielern und Musikern die sogenannte FTA Tour. FTA stand offiziell für „Free The Army“, war aber eine, auch unter Soldaten, geläufige Abkürzung für „Fuck The Army“. Dies war ein Gegengewicht zu den Unterhaltungsangeboten der United Service Organizations (USO). Während die USO die Moral der Truppe heben sollten, war es die Absicht der FTA, pazifistische und den Vietnamkrieg ablehnende Haltungen der Soldaten zu fördern. Ebenfalls 1970 wurde Fonda Ehrenkoordinatorin der Vietnam Veterans Against the War (VVAW), für welche sie Spendenkampagnen an Colleges durchführte.

Am 15. Juli 1972 posierte Fonda an einer Flugabwehrkanone der Nordvietnamesischen Armee (NVA). Das Bild entstand als Abschluß ihrer zweiwöchigen Reise nach Nordvietnam. Diese hatte sie – wie knapp 300 andere US-Amerikaner – angetreten, um sich ein eigenes Bild von dem Land zu machen. Besonders lag ihr Augenmerk auf der Zerstörung der Dämme entlang des Roten Flusses durch die US Air Force. 

Bis heute ist die Annahme einer planmäßigen Zerstörung der Dämme umstritten. Laut Protokollen aus dem Weißen Haus sollen sich der damalige US-Präsident Richard Nixon und der spätere Außenminister Henry Kissinger erst im Dezember 1972 im Rahmen der Operation Linebacker II nach ausgiebiger Diskussion gegen eine Bombardierung der Dämme entschieden haben. Die Besucher aus nicht kommunistischen Ländern wurden meistens an dieselbe Stelle eines bestimmten zerstörten Dammes geführt, so auch Fonda. Während ihrer Reise durch Nordvietnam besuchte sie Orte, welche durch die US-Luftwaffe zerstört worden waren. Darüber berichtete sie in dem nordvietnamesischen Sender Radio Hanoi. Daß viele der Krankenhäuser, Schulen und sonstigen Einrichtungen leer standen oder für militärische Zwecke genutzt wurden, war ihr verschwiegen worden. 

In den USA galt für viele das Foto aus Hanoi als Verrat an der Truppe

Ebensowenig kamen ihr Bedenken, als sie an ihrem letzten Tag in Hanoi zu einer Flugabwehrstellung kam. Sie schreibt, nordvietnamesische Soldaten hätten ihr vorgesungen „über den Tag, an dem „Onkel Ho“ die Unabhängigkeit ihres Landes (...) verkündet hatte (…): ‘Alle Menschen sind gleich; ihnen sind bestimmte Rechte gegeben; unter diesen sind Leben, Freiheit und Glück.’“ Die Soldaten hätten sie gebeten, ihnen auch etwas vorzusingen. Sie habe sich an einem vietnamesischen Lied versucht. „Alle lachten und klatschten, mich eingeschlossen. Hier ist meine beste, ehrliche Erinnerung an das, was passierte: Irgend jemand (...) führte mich zu der Kanone und ich setzte mich hin, immer noch lachend, immer noch applaudierend. (...) Ich dachte kaum darüber nach wo ich saß. Die Kameras blitzten.“ Im nachhinein äußerte Fonda, daß die Situation möglicherweise eingefädelt worden war, um für die Nordvietnamesen günstige Aufnahmen zu erzeugen. Falls dies der Fall gewesen sei, könne sie ihnen das allerdings nicht verübeln.

In den USA stießen die Bilder vor allem auf Ablehnung. Das scheinbar unbefangene Posieren mit dem Feind, der für den Tod US-amerikanischer Soldaten verantwortlich war, galt vielen in der Heimat als Verrat an der Truppe. Auch wenn Fonda heute Bedauern darüber äußert, daß sie „Soldaten und ihren Familien Schmerz durch dieses Bild verursacht haben sollte“ und diese Propagandashow als „zweimütigen Aussetzer der Vernunft“ bezeichnete, wird die in Veteranenkreisen als „Hanoi Jane“ oder „Traitor Bitch“ bezeichnete Entertainerin ihren schlechten Ruf nicht mehr los.

Foto: Jane Fonda läßt sich klatschend und lächelnd vor der nordvietnamesischen Flugabwehrkanone ablichten: Zweifel an der Propagandashow hatte sie nicht