© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/22 / 15. Juli 2022

Der Flaneur
Pachamama im schönen Ländle
Elke Lau

Zweimal im Jahr verbringen wir Urlaubstage in dem idyllischen Schwarzwaldort. Die Kurkarte schließt freie Fahrt mit der Hohenzollernbahn ein, was wir weidlich nutzen. Immer zur gleichen Zeit. Allmählich sind uns sogar Gesichter vertraut, wie die der drei dürren Männer in Begleitung einer jüngeren Frau. Die ist allerdings hinter ihren Flaschensammlertüten kaum zu sehen.

Der Jüngste in der Runde, knapp zwanzig und dauerverschnupft, spricht nur gebrochen Deutsch, sein Kumpel mit Mini-E-Scooter und ein etwa sechzigjähriger Graupel, bezopft, zerschlissene Kleidung und unsteter Blick, scheinen sich lebhaft zu unterhalten. Da sie sich überwiegend am anderen Ende des Großraumwagens aufhalten, konnten wir die Gruppe bisher nicht einnorden. Aber einmal nahmen sie doch bei uns Platz.

Der Alte hat über Jahre hinweg Südamerika bereist und wurde am Ende mit fünf Kilo Kokain geschnappt.

Der Graureiher starrte plötzlich auf meine Halskette und fragte ungläubig: „Stammt die Kette aus Peru?“ „Ja, woher wissen Sie das?“ „Von meinen vielen Reisen durch Südamerika. Der Anhänger stellt Pachamama dar, personifizierte Erdmutter vieler indigener Völker Südamerikas!“ Es blieb der einzige Kontakt; bei späteren Begegnungen übersahen sie uns geflissentlich. Heute sitzen sie wieder in unserer Nähe. Fachausdrücke aus psychologischen und medizinischen Bereichen fallen, Nebenwirkungen von Medikamenten werden besprochen, der Sinn ihrer Gespräche bleibt uns allerdings verborgen.

An der Endstation treffen wir den Zugführer, mit dem wir zuweilen launige Sprüche gewechselt hatten und erzählen von unseren Beobachtungen. Er lacht: „Natürlich kenne ich diese Leute. Der Alte hat jahrelang Südamerika bereist, bis man ihn mit fünf Kilo Heroin schnappte. Fünf Jahre saß er im Knast. Nun ist er Teilnehmer eines Methadon-Programms, wie auch seine Mitstreiter.“ Das wäre also geklärt.

Als wir beim Verlassen des Bahnsteigs das Neun-Euro-Ticket für den nächsten Monat ziehen wollen, ist das Gerät außer Betrieb. Das Display ist nämlich vollständig zerkratzt und sicherheitshalber noch mit Farbe übertüncht.