© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/22 / 22. Juli 2022

Aufgeschnappt
Rassismuskritische Sensibilisierung
Matthias Bäkermann

Bei den Verantwortlichen des traditionsreichen Berliner Ensembles herrscht große Angst vor „Shaming“, also dem Angeprangertwerden in sozialen Medien. Vor allem, wenn es auf der Bühne Verstöße gegen die „Woke“-Kultur durch Diskriminierung, Klischees oder Mikroaggressionen geben könnte. Zur „Vorwegnahme einer möglichen Rezeptionsdynamik“ wurde deshalb die Beratungsagentur „impact company“ engagiert, um Aufführungen rassismuskritisch zu bewerten. „Wir wollten einfach nicht ungewollt rassistische Bilder oder Aussagen reproduzieren“, erklärte Regisseur Antú Romero Nunes am 17. Juli in der Welt am Sonntag. Auch die Schauspieler würden gern auf das „Sensitivity Viewing“ zurückgreifen, um mit stereotyper und klischeehafter Darstellung keine Gefühle zu verletzen. So wurde zum Beispiel in Tschechows Drama „Die Möwe“ eine Rolle auf „antislawischen Rassismus“ geprüft, da diese mit naiver Miene und starkem russischen Akzent gespielt wurde. Aber nicht nur für solche Kontrollen werden „Impact-Company“-Berater Yolanda Rother und Shawn Williams künftig bezahlt, sie bieten auch Workshops an, um die Theatermitarbeiter über „Rassismus, Sexismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz zu sensibilisieren“.