© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/22 / 22. Juli 2022

Andreas Müller. Der Jugendrichter und Medienliebling macht sich mit allen Mitteln für die Cannabis-Legalisierung stark.
Pointierter Provokateur
Eric Steinberg

Hoch oben über den Demonstranten am Brandenburger Tor thront Andreas Müller und predigt von der sofortigen Entkriminalisierung des Cannabis. Einen geparkten Lkw nutzt der 60jährige als Kanzel, ihm zu Füßen seine THC-Jünger. Kein Wunder: In der Szene ist er längst ein Star, und als einer der bedeutendsten Kämpfer für die Legalisierung von Cannabis hierzulande scheint er medial quasi omnipräsent zu sein. 

Eigentlich als Jugendrichter am Amtsgericht Bernau bei Berlin tätig, zieht es den gebürtigen Niedersachsen aus Meppen von Talkrunde zu Talkrunde. Ob ARD, ZDF, Bild-TV, SternTV oder RTL, im Gepäck hat er die immergleichen, inhaltlich jedoch stichhaltigen Argumente, die er auch schon in zwei Büchern dargelegt hat: Die Legalisierung schütze die Konsumenten vor schlechter Qualität, der Staat profitiere wirtschaftlich, und das Justizsystem werde entlastet.

Warum ausgerechnet Müller zum von Journalisten umgarnten Vertreter der kiffenden Community geworden ist, erscheint naheliegend: Der erklärtermaßen SPD, Linken und Grünen nahestehende Familienvater scheut Provokationen nicht und polarisiert. In einem Interview sagte er zum Beispiel: „Nur dumme Politiker meinen weiterhin, daß man bestrafen sollte.“ Und auf die Nachfrage, ob es dann nicht viele „dumme“ Politiker in Deutschland geben müßte, setzte er frech nach: „Ja, gibt es!“ Lieber trägt Müller trotzig zu dick auf, anstatt zurückzustecken. Kritiker nennen ihn deshalb borniert. Und auch namhafte Kollegen, etwa der Kriminologe Christian Pfeiffer, schütteln den Kopf. 

Die Medien sprachen vom „härtesten Jugendrichter Deutschlands“ oder von „Richter Gnadenlos“.

 Seine mangelnde Zurückhaltung bekam jüngst auch der Deutsche Hanfverband und dessen Chef Georg Wurth auf Twitter zu spüren: „Bin kurz vor Beendigung meiner Vertragsbeziehung zum Hanfverband, den ich mit groß gemacht habe. Der Verband, bestehend aus Herrn Wurth, fordert nicht deutlich die #EntkriminalisierungSofort.“ Doch sein dreistes und auch schnelles Mundwerk schadet Müller nicht, vielmehr  ist es Teil seiner Eigenmarke. 

Die hat er bereits vor Jahren geschaffen, denn bekannt wurde er nicht durch die Cannabis-Debatte, sondern im Zuge seines harten Vorgehens gegen rechtsextreme, gewalttätige Jugendliche in den neunziger Jahren. Die Medien sprachen vom „härtesten Jugendrichter Deutschlands“ oder „Richter Gnadenlos“. Bei seinen Maßnahmen stets kreativ, ließ er zum Beispiel Neonazis in Socken am Prozeß teilnehmen, indem er ihre Springerstiefel des Gerichtssaals verwies. 

Heute taucht Müller häufiger im Rahmen der Popkultur in den Medien auf, als wegen harter Urteile. Jüngst trat er, angetan in Amtsrobe und einen Gerichtshammer schwingend, im Musikvideo des Rappers GReeeN auf, der das grüne Cannabis-Kraut besingt. Und auch hier fordert er natürlich: „Entkriminalisierung sofort!“ Es sind Methoden wie diese, die zwar auf den ersten Blick unseriös wirken, aber die gewünschte Wirkung erzielen: Die Medien berichteten – und damit rückt nicht nur das Thema Legalisierung erneut in den Vordergrund, sondern auch Andreas Müller selbst. 

Ob er so allerdings auch Bürger überzeugen kann, die in der Gras-Debatte noch immer mit festgefahrener Argumentation nachhinken, scheint wenig wahrscheinlich. Die Aufmerksamkeit des jungen Publikums ist ihm jedoch sicher.