Auch 24 Jahre nach Gründung des Europäischen Polizeiamts, kurz Europol, ist diese Behörde umstritten. „Angesichts des zunehmenden Terrorismus absolut notwendig“, loben Befürworter – „Massenüberwachung“, monieren Kritiker. Immer mehr Vorwürfe werden laut. Es heißt, Europol werde von den Politikern zunehmend zur Durchsetzung politischer Interessen mißbraucht und nicht nur zur Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt. Besonders laute Kritik gibt es vom EU-Datenschutzbeauftragten Wojciech Wiewiórowski. Dieser mahnte zuletzt, die überarbeitete Europol-Verordnung gebe der EU-Polizeiagentur zu viele neue Mittel in die Hand. Möglichkeiten, die Arbeit der Behörde zu beaufsichtigen, seien hingegen rar gesät. Eine am 28. Juni 2022 in Kraft getretene Verordnung erweitert das Mandat von Europol im Hinblick auf den Austausch personenbezogener Daten und den Einsatz Künstlicher Intelligenz sowie die Verarbeitung großer Datensätze ganz erheblich.
Wiewiórowski kritisierte besonders, daß Europol nun in bestimmten Fällen große Datensätze verarbeiten dürfe. Daten von Personen, die keine nachgewiesene Verbindung zu kriminellen Milieus haben, würden dabei auf die gleiche Weise behandelt wie Kriminelle. Schon Anfang des Jahres hatte der Pole bemängelt, daß der Datenbestand Europols mittlerweile auf vier Petabyte angewachsen sei. Das sind vier Milliarden Bytes. Zum Vergleich: Dieser Artikel hat einen Umfang von rund 20.000 Bytes. In der Europol-Datenbank befänden sich auch personenbezogene Daten von Opfern und Zeugen von Straftaten, selbst wenn die EU-Länder sie längst aus ihren eigenen Datenbanken gelöscht hätten. Da dies nach Ansicht des EU-Datenschutzbeauftragten nicht legal sei, ordnete Wiewiórowski Anfang 2022 die Löschung dieser Daten an. Europol wehrte sich dagegen und setzte sich schließlich durch: Die neue Verordnung legalisierte diese Datenmenge rückwirkend. Nach Ansicht des polnischen Juristen ist die Arbeitsweise der Behörde allerdings weiterhin illegal. Deshalb setzt er sich nach wie vor für die Löschung der Datensätze ein. Die Europol-Direktorin Catherine De Bolle aus Belgien wehrt sich gegen Vorwürfe der Massenüberwachung. Die Daten seien für die Arbeit des Amtes notwendig, schließlich gehe es um die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität und die Förderung des Informationsaustausches zwischen den nationalen Polizeibehörden. Zu den verschiedenen Arbeitsbereichen der Behörde zählten dabei unter anderem die Terrorismusbekämpfung, die Eindämmung von Waffen- und Drogenhandel sowie der Kampf gegen Kinderpornographie und Geldwäsche. Das vielfältige Aufgabenspektrum mache umfassende Datensätze notwendig. Die vielen Daten würden außerdem auch als Ausschlußkriterium genutzt, wenn Unschuldige in den Verdacht lokaler Polizeibehörden gerieten. Dann könne Europol mit Hilfe seiner eigenen Informationen eingreifen. De Bolle verweist auch auf den vor wenigen Tagen veröffentlichten TESAT-Bericht – „Terrorism, Situation And Trend Report“ – von Europol, aus dem sich klar die Wichtigkeit dieser Behörde ergebe.
Dem Bericht zufolge wurden im Jahr 2021 in der EU 15 abgeschlossene, vereitelte oder gescheiterte Terroranschläge verzeichnet. Bei den vier abgeschlossenen Anschlägen habe es sich um drei dschihadistische Terroranschläge und einen links-terroristischen Anschlag gehandelt. Die Strafverfolgungsbehörden der EU hätten im vergangenen Jahr 388 Verdächtige wegen terroristischer Straftaten festgenommen. Laut Europol würden die meisten Anschläge in Europa nach wie vor von Einzeltätern verübt. Allerdings wurden 2021 auch Anschlagspläne vereitelt, an denen mehrere Akteure beteiligt waren. Interessanterweise führt der Report auch „gewalttätigen Anti-COVID-19- und Anti-Regierungs-Extremismus“ auf. Dieser äußere sich in „offenen Drohungen“ oder auch in „online verbreiteten Haßbotschaften“.