© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/22 / 22. Juli 2022

Das dritte Rad am Wagen
Nahost: Rußland und der Iran vertiefen ihre Wirtschaftsbeziehungen / Die Türkei versucht derweil, von der Annäherung zu profitieren
Marc Zoellner

Gut acht Meter lang und von Flügelspitze zu Flügelspitze bis zu 16 Meter breit ist das Objekt der Begierde. Laut Jake Sullivan, dem Nationalen Sicherheitsberater der USA, ist es bereits das zweite Mal binnen eines Monats, daß eine russische Delegation den Iran besucht, um sich über Drohnentechnologie zu informieren. Und tatsächlich zeigen von den USA veröffentlichte Satellitenaufnahmen eine russische Passagiermaschine auf dem zentraliranischen Flughafen von Kaschan. Nur wenige Meter entfernt befinden sich die ersehnten Ausstellungsstücke iranischer Kampfdrohnen vom Typ „Shahed-129“ und „Shahed-191“.

„Unsere Daten deuten darauf hin, daß der Iran sich vorbereitet, Rußland mehrere hundert unbemannte Drohnen zur Verfügung zu stellen“, erklärte Sullivan während einer Pressekonferenz im Weißen Haus. Aufgrund der „empfindlichen Verluste, die Rußland auf dem Schlachtfeld erlitten hat“, sei Moskau an der Ausbildung seiner Truppen zur Bedienung der Drohnen überdies bereits ab Juli interessiert. „Es ist jedoch unklar, ob der Iran schon eine dieser Drohnen an Rußland geliefert hat“, konstatierte Sullivan abschließend. Für Moskau kämen die Drohnenlieferungen aus dem Iran jedoch gerade zur rechten Zeit. Laut Kiewer Angaben haben die Streitkräfte Rußlands seit Beginn des Kriegs in der Ukraine schon mehr als 680 Drohnen verloren.

Wegen der Sanktionen mangelt es Rußland derzeit an Absatzmärkten

Noch im Juni erklärte der damalige russische Vizepremier und jetzige Direktor der Weltraum-agentur „Roskosmos“, Juri Borissow, Rußland habe sich verspätet mit der „ernsthaften Einführung“ unbemannter Flugobjekte beschäftigt. Im derzeitigen Stellungskrieg, dessen Offensiverfolge auch durch die Wirksamkeit der Artillerie entschieden werden, sei eine präzise Aufklärungsarbeit von Drohnen unverzichtbar, sagen Militärexperten. Die iranischen „Shahed“-Drohnen hättten sich bereits im syrischen Bürgerkrieg bewährt; die „Shahed-129“ ebenso bei der Kontrolle der iranisch-pakistanischen Grenzgebiete. Der Iran dementiert die US-Vorwürfe bezüglich einer Einmischung in den Ukraine-Krieg: „Die grundsätzliche und ausdrückliche Haltung der Islamischen Republik, Krieg abzulehnen und eine Beendigung des Krieges zu unterstützen, basiert nicht auf zweierlei Maß wie bei einigen westlichen Ländern“, bekundet Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian. Vielmehr sei Teheran am Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zu Moskau gelegen. Aufgrund der westlichen Sanktionen mangelt es Rußland derzeit an internationalen Absatzmärkten.

Neben Kasachstan, von welchem Moskau sich eine Mittler- und Transitrolle bei der Anknüpfung an weltweite Absatzmärkte erhofft, bietet sich dem Kreml diesbezüglich auch das ebenfalls isolierte Teheraner Regime als Absatzmarkt an. Seit 2010 war der Handel beider Staaten, der nahezu ausschließlich auf landwirtschaftlichen Produkten beruht, um rund fünfzig Prozent auf etwa zwei Milliarden US-Dollar jährlich zusammengebrochen. Auch um ihr markantes Außenhandelsdefizit auszugleichen, reisten Vertreter der staatlichen Bank Melli Iran am vergangenen Wochenende nach Moskau, um gemeinsam mit dem Vorsitzenden der russischen Sberbank ein neues iranisches Handelszentrum in der russischen Hauptstadt zu eröffnen.

Diesen Montag erfolgte durch Wladimir Putin der Gegenbesuch in Teheran, an dem auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan teilnahm. Nach dem Ende der vormonatlichen 18. „Astana-Runde“, die im Juni zur Lösung des syrischen Bürgerkriegs angedacht war, wird nun die Ukraine als Schwerpunktthema zwischen den drei Mächten gehandelt. In der territorialen Unteilbarkeit Syriens sind sich die Beteiligten einig – die Ukraine allerdings steht mindestens für Rußland unter anderen Prämissen. „Der Verhandlungstisch sollte aber offengehalten werden, da eine Lösung zwischen der Ukraine und Rußland nur durch Diplomatie erreicht werden kann“, betonte Erdoğan vorab. Ankara wolle weiterhin im Streit um die ukrainischen Getreidelieferungen über das Schwarze Meer und die Dardanellen vermitteln. Im Gegenzug zur weiteren Gesprächsoffenheit kündigte Rußland an, zur Aussöhnung der Türkei mit dem verfehdeten Armenien beizutragen.