© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/22 / 22. Juli 2022

Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket senken die deutsche Inflationsrate
Entwarnung geht anders
Reiner Osbild

Die Inflation ist eine Geldentwertung nach außen und innen. Während die Euro-Entwertung gegenüber dem Dollar dramatisch zunahm, scheint die Inflation im Innern gebremst. Der Kaufkraftverlust betrug im Juni „nur“ 7,6 Prozent verglichen mit dem Vorjahresmonat, im Mai waren es 7,9 Prozent gewesen. Also Grund zur Entwarnung? Mitnichten. Denn den etwas niedrigeren Juniwert ermöglichten zwei Eulenspiegeleien der deutschen Politik: das Neun-Euro-Ticket und der „Tankrabatt“, die temporäre Energiesteuersenkung für Kraftstoffe.

Ohne diese Maßnahmen hätte das Statistische Bundesamt eine Zunahme des Verbraucherpreisindex (VPI) von etwa 8,6 Prozent ausweisen müssen. Das ist die gleiche Rate, die Eurostat für die Eurozone erwartet. Die Entlastungen gelten nur drei Monate. Danach droht Rückkehr zur tristen Normalität – mit einem rechnerisch sogar verstärkten inflationären Effekt. Denn der Schienenverkehr hat sich um 44 Prozent verbilligt, sozusagen von 100 auf 56 Euro. Steigt er nun wieder auf 100 Euro, so sind das plus 78 Prozent. Die gefühlte Inflation dürfte ohnehin höher sein als die tatsächlich gemessene. Denn die Preise, mit denen wir täglich konfrontiert sind, sind nicht die für Flachbildschirme und Notebooks, sondern die für Energie und Nahrungsmittel mit Teuerungsraten von rund 38 bzw. 13 Prozent.

Die Euro-Abwertung ist eine weitere Sprengfalle. Wenn die Importpreise stärker steigen als die Exportpreise, dann ist dies ein negativer Terms-of-Trade-Effekt: eine Umverteilung des Wohlstands vom In- ins Ausland. Bereits 2021 war dieser Wohlstandsverlust wegen Energiepreis­explosion zu spüren: Er betrug rund 25,5 Milliarden Euro. Wir mußten rechnerisch 850.000 Autos im Wert von je 30.000 Euro zusätzlich exportieren, nur um unsere gestiegenen Importrechnungen zu begleichen. Dieser Trend dürfte sich mit der Talfahrt des Euro fortsetzen. Und sind erst einmal hohe Inflationserwartungen in den Köpfen verankert, dann steigen auch die Forderungen an den Staat nach höheren Sozialleistungen sowie die Ansprüche in den Tarifverhandlungen. Der Versuch, die verkorkste Energiepolitik von den Arbeitgebern ersetzt zu bekommen, kann aber leicht zu hohen Lohnkosten, Entlassungen, Abwanderung von Unternehmen oder deren Insolvenz führen.

Machen wir uns nichts vor: Die Inflationierung der Energiepreise ist Teil des grünen Programms. Das begann schon mit der Forderung nach einem Benzinpreis von fünf Mark im Bundestagswahlprogramm 1998. Die Einführung und stufenweise Erhöhung der „CO2-Bepreisung“ sollte als weitere Peitsche genutzt werden, um die Bürger von den fossilen Brennstoffen zu entwöhnen. Aber das ist mühselig und langwierig. Wie gerufen kommt da der Ukraine-Konflikt, um Bürger und Wirtschaft handstreichartig zu „dekarbonisieren“. Dazu paßt, daß Wirtschaftsminister Robert Habeck die Vorrechte der privaten Haushalte bei der Gasversorgung in Frage stellt. Dem Normalverbraucher wird signalisiert: „Dein Wohlstand ist zu Ende, Alter, jetzt kommt die Ära der Klimarettung.“ Ungeachtet der Gnadenfrist für die Kohle: Am Ende werden Wind und Sonne trotz erkennbarer Mängel noch stärker gepusht. Durch die Instrumentalisierung des Ukraine-Krieges drohen sie zum alternativlosen Allheilmittel hochstilisiert zu werden.






Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.