© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/22 / 22. Juli 2022

„Schon fünf fehlende Gepäckträger sorgen für Chaos“
Nachwirkungen der Corona-Maßnahmen: Im Luftverkehr, im Tourismus und in Hotels und Gaststätten fehlen nun die Arbeitskräfte
Fabian Schmidt-Ahmad

Der Lockdown verursachte eine gewaltige Umschichtung auf dem Arbeitsmarkt. Zwar ist die Arbeitslosenquote mit derzeit 2,6 Prozent etwas höher als 2019 mit 2,3 Prozent, jedoch haben die radikalen Corona-Maßnahmen zu einer Umorientierung vieler Beschäftigten geführt, wie zwei Studien des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aufzeigen. Und wie in fast jeder Krise gibt es nun Verlierer und Gewinner. Das Chaos im Flugverkehr hält an. An den deutschen Flughäfen fehlen 7.200 Beschäftigte, jede fünfte Stelle ist unbesetzt (JF 28/22). Die vor zwei Jahren staatlich gestützte Lufthansa streicht mitten in der Urlaubssaison Tausende Flüge, doch die hohen Ticketpreise haben aus Aktionärssicht auch ihr Gutes: Umsatz und operativer Gewinn steigen.

Zu den Verlierern gehört die Tourismus-, Hotel- und Gastronomiebranche. Vor dem Lockdown gingen hier 788.604 Personen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Doch 2020 wechselten aus diesen Branchen 215.889 Beschäftigte den Beruf, denn alleine im Gastgewerbe wurden im ersten Corona-Jahr 205.571 Personen in die Arbeitslosigkeit entlassen. Nun fehlen diese Arbeitskräfte und machen aus Koch und Kellner einen Mangelberuf. Arbeitgeber, die im Lockdown nicht schnell genug Mitarbeiter den Stuhl vor die Tür stellen konnten, haben nun ein Problem: die vergraulten Arbeitskräfte kommen so schnell nicht wieder. Viele dürften sich mittlerweile beruflich verbessert haben. Der Lockdown brachte schließlich auch Gewinner hervor, wie Online-Versandhäuser oder Logistikunternehmen. Die in diesen Branchen gezahlten Löhne übersteigen oft die Gehälter in Gastronomie & Co., ohne deren Arbeitsbelastung.

Abschreckende Erfahrungen in einer krisenanfälligen Branche

Deutlich wird das an den Abwanderungen aus der Gastro-Branche: Rund 35.000 Entlassene fanden in Verkaufsberufen ein neues Auskommen, jeweils rund 27.000 starteten im Bereich der Verkehrswirtschaft wie Unternehmensführung neu und rund 21.000 fanden zur Lebensmittelherstellung. Und immerhin 7.242 wechselten in Gesundheitsberufe. Tourismus und Gastgewerbe sehen sich also mit einer attraktiven Konkurrenz konfrontiert.

Das zeigt auch eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) über „Deskless Workers“, also Dienstleister, die nicht vom Schreibtisch aus arbeiten können, wie beispielsweise Gepäckpersonal, Kellner oder Security-Mitarbeiter. Laut BCG-will ein Drittel der Befragten in den kommenden sechs Monaten den Job wechseln. Und bisher wird in den Unternehmen wenig getan, etwas an dieser offensichtlichen Unzufriedenheit zu ändern. „In den klassischen Mindestlohnberufen stand in der Vergangenheit meist genug Personal zur Verfügung“, stellt BCG-Studienautor Sebastian Ullrich im Handelsblatt fest. Deshalb sei hier wenig getan worden, um Personal zu halten. Das räche sich jetzt. „Plötzlich stellt man fest: Ein ITler weniger ist gar nicht das Drama – sondern fünf fehlende Gepäckträger am Flughafen“, veranschaulichte Ullrich, der auf die branchenüblichen niedrigen Gehälter hinwies. Selbst eine teilweise Lohnerhöhung werde durch die gegenwärtige Inflation konterkariert.

Zusätzlich kommt die abschreckende Erfahrung, in einer krisenanfälligen Branche gearbeitet zu haben. „Es ist davon auszugehen, daß das Sicherheitsbedürfnis der Beschäftigten in der Krisenzeit stark zugenommen hat, und daß Berufe, die eine hohe Stabilität signalisieren, deswegen an Beliebtheit gewonnen haben“, heißt es dazu in der IW-Studie über das „Sorgenkind Gastro“. Freilich ohne zu erwähnen, daß erst die Unsicherheiten einer sprunghaften Lockdown-Politik aus Hotels und Gaststätten ein Hochrisikogewerbe machten.

Die wichtigste politische Maßnahme dürfte daher sein, wieder Rechtssicherheit zu schaffen, um einen künftigen Lockdown ausschließen zu können. Ein SPD-Gesundheitsminister wie Karl Lauterbach, der bereits Grundrechtseinschränkungen auf Vorrat plant, ist hier nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme. Ebenso ein FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann, der nach anfänglichem Theaterdonner bereits klein beigibt und durchblicken läßt, wieder im Herbst Freiheitsrechte zur Disposition zu stellen. Doch diese Implikationen blendet die IW-Studie aus. Stattdessen schlagen die Autoren – wenig überraschend – wieder einmal die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten als angebliche Lösung vor. „Langfristig ist der Fachkräftemangel aber nicht allein durch personalpolitische Maßnahmen zu beseitigen, sondern muß auch weiterhin durch politische Initiativen wie etwa Regelungen zur Fachkräfteeinwanderung flankiert werden.“

Es bleibt das Geheimnis der IW-Autoren, warum die Hunderttausende, die in den Jahren nach 2015 direkt in die deutschen Sozialsysteme einwanderten, nicht in der Lage sein sollen, in Hotels Betten zu machen oder in einer Bar Getränke auszuschenken. Solange diese Frage aber nicht geklärt ist, benötigt Deutschland keine „Regelungen zur Fachkräfteeinwanderung“, weil man schlechterdings nur etwas regeln kann, worüber man Kontrolle hat.

„Sorgenkind Gastro? Berufswechsel in der Corona-Pandemie“; IW-Kurzbericht 60/22: www.iwkoeln.de

 Kommentar Seite 2