© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/22 / 22. Juli 2022

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Zur Fingierung einer kirchlichen Hochzeit Lindner/Lehfeldt: Die Trauung zweier Nichtchristen in einem Gotteshaus ist ein Skandal, aber ein lehrreicher. Die Lektion lautet: Liberalismus bedeutet im Kern das sorglose Vernutzen überlieferter Bestände, die – falls dekorativ – gerne in Anspruch genommen werden, für deren Fortbestand man aber nichts zu tun willens ist.

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Als Cem uns erklärte, daß der deutsche Nachwuchs jetzt Mustafa, Giovanni und Ali heiße, war von Ferda keine Rede.

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Ein Jahr nachdem er sein berühmtes Bild des Steinkreises von Stonehenge vollendet hatte, notierte John Constable 1836: „Das rätselhafte Denkmal von Stonehenge steht auf einer kahlen, grenzenlosen Heide; mit den Ereignissen der Vergangenheit so wenig verbunden wie mit den Zwecken der Gegenwart, versetzt es uns zurück in das Dunkel eines völlig unbekannten Zeitalters jenseits aller geschichtlichen Kunde.“ Die grenzenlose Heide wird längst von einer (allerdings nur zweispurigen, stauträchtigen) Straße durchschnitten, die Zwecke der Gegenwart finden ihren Niederschlag wenigstens in den Sonnenwendfeiern der Druiden, für die sich Stonehenge hergeben muß, und sonst in den Vermarktungsmöglichkeiten, die das Monument bietet, und auch das Dunkel eines völlig unbekannten Zeitalters wird nach und nach von der Wissenschaft erhellt. Deren Ergebnisse hat das Britische Museum zuletzt in einer großartigen Ausstellung gezeigt. Erheblichen Raum nahm dabei die Rekonstruktion der einzelnen Phasen des Aufbaus der Gesamtanlage samt Prozessionsweg ein. Weiter wurden die Überreste eines „Woodhenge“ präsentiert, einer mit einem Kreis aus Holzpfählen markierten Ritualstätte, die man als Prototyp des Steinkreises betrachten kann, und Funde gezeigt, die in jüngerer Vergangenheit gemacht wurden. Besondere Aufmerksamkeit verdienten dabei die Überreste aus dem Grab des „Bogenschützen von Amesbury“, deren Auswertung ergab, daß der hochgestellte Tote in der Entstehungsphase von Stonehenge – zwischen 2380 und 2290 vor Christus – starb und offenbar ein weitgereister Mann war: Er stammte seiner Herkunft nach aus dem Alpengebiet. Die entscheidende Leistung der Präsentation wird man aber in der Einordnung von Stonehenge in den größeren Zusammenhang der europäischen Megalithkultur sehen dürfen. Sie hat über einen sehr langen Zeitraum hinweg das Denken der Menschen Europas, ihre Religion und ihre Wertvorstellungen bestimmt. Ohne Zweifel spielte für ihre Gesellschaften soziale Schichtung schon eine wesentliche Rolle – Stonehenge wäre ohne eine planende und befehlende Elite kaum entstanden –, aber es muß auch ein Netzwerk vorhanden gewesen sein, das den Austausch von Objekten, Kenntnissen und Techniken über sehr große Distanzen und natürliche Grenzen wie Meere oder Gebirge hinweg erlaubte. Bemerkenswerterweise wurde in der Ausstellung die These vertreten, daß sich durch diese Mobilität und die Einführung der Metallverarbeitung eine weitere kulturelle Revolution vorbereitete, die zu der Auffassung führte, daß Heiligkeit nicht primär an bestimmten Plätzen und in Monumentalbauten manifest werde, sondern auch in transportablen Gegenständen. Angesichts der zentralen Bedeutung der Sonnenverehrung legte sich die Bannung des himmlischen Glanzes in Gold und polierter Bronze nahe. Ein Kontext, der in London auch dadurch zur Geltung gebracht wurde, daß man die Himmelsscheibe von Nebra als Höhepunkt der Ausstellung präsentierte.

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Wenn das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sich um Abtreibungsgelegenheiten sorgt und das Spitzenmanagement der Wirtschaft den Grünen den Vorzug gibt, darf man wohl von verkehrter Welt sprechen.

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„Freiheit ist auf jeden Fall das Gegenteil von dem, was der Verfassungsschutz und die Innenministerin Frau Faeser wollen. […] Ich meine konkret den neuen sogenannten Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates. Die Formulierung an sich ist schon empörend. Aber wenn man liest, was darunter alles fällt, nämlich Kritik an der Klimapolitik, Verächtlichmachung einzelner Funktionäre oder Minister und Regierungsmitglieder – wenn ich also als Bürger meiner Pflicht nachkomme, die Politik kritisch zu beobachten und meine Kritik vielleicht drastisch äußere, dann kann ich schon darunterfallen. Und wenn ich ein Regierungsmitglied verachte und das öffentlich sage, was ja unter die Meinungsfreiheit fällt, dann bin ich ein verfassungsschutzrelevanter Delegitimierer des Staates. Aber noch mal zur Freiheit: Freiheit muß man sich nehmen, und man muß sie verteidigen. Wenn man das nicht tut, warum soll man sie haben? Niemand hat Interesse daran, mir Freiheiten zu geben, wenn ich nicht darauf bestehe, daß ich sie haben will.“ (Monika Maron, Schriftstellerin, in einem Interview der Welt am Sonntag, 10. Juli 2022)

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Was das neue Selbstbestimmungsgesetz angeht, könnte man warnend (aber sicher erfolglos) auf die Ausführungen des Papa emeritus zur „Ökologie des Menschen“ hinweisen, oder auf das Weistum eines älteren Lehrerkollegen mit der Facultas Biologie: „Gar fröhlich grüßt die Unnatur.“

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 5. August in der JF-Ausgabe 32/22.