© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/22 / 22. Juli 2022

Ängste zu schüren hilft, einen Plan zu schmieden
Der Psychologe Hans-Joachim Maaz rechnet mit Politik und Medien ab, deren Corona-Pandemiestrategien jede Besonnenheit vermissen ließen
Michael Dienstbier

Im April 2020 – das Land befand sich seit wenigen Wochen im ersten Corona-Lockdown – erblickte das sogenannte „Panikpapier“ des Innenministeriums das Licht der Öffentlichkeit. Das interne Dokument empfahl das Schüren von Ängsten gegen einen Erstickungstod sowie gezielte an Kinder gerichtete Kampagnen, doch nicht für den qualvollen Tod von Oma oder Opa verantwortlich sein zu wollen. Die Meinung des Psychoanalytikers und Therapeuten Hans-Joachim Maaz zu dieser Strategie könnte klarer nicht sein. Er spricht von einer „strafrechtlich relevanten Kindeswohl-Verletzung durch eine seelische Traumatisierung“. In seinem neuen Buch „Angstgesellschaft“ analysiert er die Corona-Politik aus Sicht des auf Frühtraumatisierung spezialisierten Psychotherapeuten und gelangt dabei zu schockierenden Erkenntnissen.

Seit Jahrzehnten publiziert Maaz Bestseller über die seelische Gemütslage der Deutschen, wobei ein Fokus der Arbeit des ehemaligen DDR-Bürgers auf den Unterschieden zwischen Ost und West liegt. Sein bisher wichtigstes Werk „Das falsche Leben“ erschien 2017 und attestierte den Deutschen, ein Volk von Normopathen zu sein. Dies zeichne sich durch ein Mitläufer- und Mittätertum aus, welches in einer Mischung aus Schuldkomplexen und moralischen Überlegenheitsgefühlen abweichende Meinung drastisch abwerte und mit zunehmend repressiven Mitteln sanktioniere. Die Mechanismen einer normopathischen Gesellschaft kamen in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 voll zur Geltung und haben in der Corona-Pandemie, so Maaz, eine neue Eskalationsstufe erreicht.

Wie kann es sein, daß eine geschlossen agierende polit-mediale Front die größten Grundrechtseinschränkungen seit Ende des Zweiten Weltkrieges beschließt und dabei auf eine Unterstützung der Mehrheit zählen kann? Und all das, obwohl die Maßnahmen in sich widersprüchlich und wissenschaftlich nicht valide sind und mit einer entmenschlichenden Hetze gegen Kritiker einhergehen (Impfverweigerer, Schwurbler etc. pp.), die an dunkelste Zeiten erinnern. Maaz sieht hier „das kollusive Zusammenwirken des Größenselbst der Eliten mit dem Größenklein der Massen“ am Werk. Ein Größenklein zeichne sich durch ein Gefühl der ständigen Bedrohung, Minderwertigkeitserleben und Abhängigkeitsbedürfnisse aus, wohingegen ein Größenselbst durch extreme Leistungsbereitschaft getrieben vom Wunsch nach Anerkennung geprägt sei. Die Ursprünge beider narzißtischer Ausprägungen verortet Maaz in frühkindlichen Traumatisierungen, deren Ursachen in einer gestörten Mutter/Vater-Kind-Beziehung liegen, die zu Beginn des Buches kurz umrissen werden. 

Eine Elite im Machbarkeitswahn und ein Volk, das sich nach Rettung sehnt – nicht zum ersten Mal in unserer Geschichte eine unheilvolle Kombination. Daß das gezielte Spiel mit der Angst unter diesen Voraussetzungen ein wirkungsvolles Herrschaftsinstrument ist, ist ebenso verständlich wie gefährlich: „Will man friedfertige demokratische Verhältnisse schaffen oder erhalten, müssen Ängste verhindert werden. Will man die Demokratie in eine Diktatur verwandeln, muß man Ängste schaffen und pflegen.“

Handelt es sich bei den Maßnahmen der Corona-Pandemie um den Wahn einer überforderten Elite und eines eingeschüchtert-manipulierten Volkes oder einen Plan zur Umsetzung eines globalistisch-biopolitischen Regimes, das sich nicht mehr um demokratisch-nationalstaatliche Entscheidungsfindungsprozesse zu kümmern braucht? Maaz sieht hier ein Zusammenspiel am Werk, das er in den Worten „Angst hilft, einen Plan zu schmieden – der Plan schafft und nutzt die Ängste!“ treffend zusammenfaßt. In Zeiten eines immer totalitärer werdenden Diskurses sind Stimmen wie die von Hans-Joachim Maaz wertvoller denn je. Analytisch brillant, meinungsstark und diktaturerfahren schreibt er, was in den Publikationsorganen des staats- und regierungsnahen Mainstreams immer effektiver unterdrückt wird. „Angstgesellschaft“ ist ein Stück Aufklärung im besten Sinne des Wortes und hat eine möglichst breite Leserschaft verdient.

Hans-Joachim Maaz: Angstgesellschaft. Verlag Frank & Timme, Berlin 2022, broschiert, 248 Seiten, 18 Euro