© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 30-31/22 / 22. Juli 2022

Flugangst muß nicht sein
Nicht nur Turbulenzen machen die Reise in den Traumurlaub für manchen zur Mutprobe
Frank Littek

Wenn das Chaos an den Flughäfen überstanden ist und der überbuchte Jet tatsächlich abhebt, beginnt für manchen Urlauber die nächste Pein: Herzklopfen, ein flaues Gefühl in der Magengrube, Zittern, Schwitzen oder Taubheitsgefühle. Und sie stellen sich die bange Frage: Wann sind wir endlich da? Doch gegen Flugangst gibt es gute Hilfsmittel. Wer weiß, warum Turbulenzen nicht zum Absturz führen, welche Geräusche normal sind, warum die Piloten kurz nach dem Start den Schub reduzieren und warum harte Landungen manchmal besser sind als weiche, der wird deutlich gelassener sein.

In die Aschewolke eines gerade ausgebrochenen Vulkans geraten

Und Flugangst ist nicht gleich Flugangst. Ist es eine Phobie, wie sie manche auch vor Spinnen haben, hilft Information nicht. Doch zumeist ist es eine „Realangst“: Furcht machen Turbulenzen oder das Gefühl, den Piloten ausgeliefert zu sein. Aber wer weiß, warum ein Flugzeug fliegt, kann gelassener sein. Entscheidend ist die spezielle Form der Tragflächen. Diese sind nicht gerade wie ein Brett, sondern nach oben immer stärker als nach unten gewölbt. Daher strömt die Luft schneller über die Oberseite des Flügels als unterhalb, wenn sich das Flugzeug in Bewegung setzt. Fließt die Luft aber schneller, nimmt gleichzeitig der Druck in ihr ab. Dadurch entsteht ein Sog nach oben. Das ist der Auftrieb, der das Flugzeug abheben und fliegen läßt.

Für die Vorwärtsbewegung des Flugzeugs sorgen die Triebwerke. Die meisten Verkehrsflugzeuge haben nur noch zwei davon. Die großen Langstreckenjets – die Boeing 747 („Jumbo“), die A340 und die doppelstöckige A380 von Airbus oder die Iljuschin Il-86 und Il-96 – besitzen vier. Und was ist, wenn diese ausfallen? Dann fällt das Flugzeug – anders als ein Hubschrauber – nicht sofort wie ein Stein vom Himmel – sondern gleitet ruhig weiter wie ein Segelflugzeug. Solche Fälle hat es tatsächlich schon gegeben. So geriet 1982 der British-Airways-Flug BA 9 von London nach Melbourne in die Aschewolke des indonesischen Vulkans Galunggung. Alle vier Triebwerke der 747-200 fielen gleichzeitig aus. Bis es den Piloten gelang, die Motoren neu zu starten, vergingen zwölf Minuten – die der 300-Tonnen-Jumbo im Gleitflug verbrachte.

Danach flog der Großraumjet noch fast 4.000 Meter hoch. Eine Strecke von 150 und mehr Kilometern ist für ein Verkehrsflugzeug im Gleitflug kein Problem. Passagierflugzeuge haben prinzipiell mindestens zwei Triebwerke: In der Verkehrsfliegerei sind alle Systeme redundant, das heißt mindestens doppelt, manchmal dreifach vorhanden. Auch der Pilot sitzt „doppelt“ im Cockpit; bei sehr langen Flugzeiten sind es manchmal sogar drei: Kapitän, Senior First Officer und First Officer.

Turbulenzen können tatsächlich zu Verletzungen führen, wenn Fluggäste entgegen der jeweiligen Aufforderung nicht angeschnallt sind. Für das Flugzeug selbst sind sie ungefährlich. Dabei entstehen Beschleunigungskräfte (Maßeinheit g=9,81 m/s2). In einem kräftigen Sturm, in dem die Kabine immer wieder hin und her gerissen wird, treten etwa 1,8 g auf. Konstruktiv ist ein Airbus dafür ausgelegt, Belastungen von 4,5 g ohne Schaden zu ertragen. Besonders bei Turbulenzen können Passagiere beim Blick durch das Fenster beobachten, daß sich die Tragflächen des Flugzeugs bewegen und zum Beispiel nach oben durchbiegen. Das ist konstruktiv so gewollt. Allein schon durch den Auftrieb werden die Flügel um rund einen Meter – gemessen an der Flügelspitze – nach oben gebogen. Bei Turbulenzen sind es schon einmal 2,70 Meter. Eine A340 verträgt aber locker 4,90 Meter.

An Bord der Maschine kann der Passagier nicht nur sehen, wie sich die Flügel verbiegen, sondern eine ganze Reihe von Beobachtungen machen oder auch Geräusche hören, die verunsichern. Das fängt schon am Boden an. Während des Triebwerkstarts – der in der Regel beim Zurückstoßen vom Gate erfolgt – setzt die Klimaanlage kurz aus. Das liegt daran, daß sie in dieser Phase mit Druckluft von der Hilfsturbine (Auxiliary power unit/APU) arbeitet. Beim Anlassen der Motoren wird diese Druckluft aber für kurze Zeit für den Startvorgang der Triebwerke benötigt und fehlt damit der Klimaanlage, die kurz pausiert. Laufen die Motoren, kann es sein, daß das Kabinenlicht flackert oder gar ausgeht. Der Grund: Am Boden wird der Strom in diesem Moment von der Hilfsturbine geliefert. Laufen die Triebwerke, stellen diese den Strom bereit – und die Besatzung schaltet die Stromversorgung um.

Der weltweite Luftverkehr ist sicherer als unser Straßenverkehr

In dieser Phase oder kurz danach ist anhaltendes oder wiederkehrendes lautes Summen aus dem Boden zu hören. Das ist normal, denn die Jets haben redundant ausgelegte Hydrauliksysteme. Oft sind drei Systeme an Bord. In jedem arbeitet eine Pumpe, um den nötigen Druck aufzubauen. Nach dem Start der Motoren geht zunächst nur eine Pumpe in Betrieb, der nötige Druck ist nur in einem System vorhanden. In den beiden weiteren Hydrauliksystemen muß der Druck erst aufgebaut werden. Das geschieht über die PTU (Power transfer unit), eine Pumpeneinheit, die bei ihrer Arbeit das summende Geräusch erzeugt.

Schon kurz nach dem Start ist in der Kabine auch eine leichte Verzögerung zu spüren, das Geräusch der Motoren nimmt etwas ab. Das aber ist kein Zeichen dafür, daß etwas mit den Triebwerken nicht stimmt. Das Abheben verlangt eine sehr großer Schubleistung. Da diese aber für den weiteren Flug nicht nötig ist, nimmt die Besatzung kurz danach die Schubhebel etwas zurück. Und es gibt weitere Geräusche: Das Rumpeln im Boden wird vom Einfahren des Fahrwerks erzeugt, das Summen von den Tragflächen kommt vom Einfahren der sogenannten Landeklappen, die auch beim Start teilweise ausgefahren sind, weil sie den Auftrieb verbessern. Der folgende Reiseflug ist dann meist unspektakulär.

Beeindruckender ist die Landung: Hier weisen Rumpeln und Summen wieder auf das Ausfahren der Räder und der Landeklappen hin. Bei Passagieren gelten weiche Landungen als Zeichen fliegerischen Könnens. Bei schlechtem Wetter mit starkem Wind ist das nicht unbedingt der Fall. Bei vielen Airlines werden Landeanflüge bei solchen Wetterverhältnissen mit höherer Geschwindigkeit geflogen. Das Flugzeug ist dann weniger anfällig für Windböen. Die größere Geschwindigkeit führt aber auch zu einer härteren Landung – was aber beweist, daß die Piloten ihr Handwerk verstehen.

Vergangenes Jahr starben weltweit im Luftverkehr 121 Menschen. Im Straßenverkehr – nur in Deutschland – waren es 2.569 Personen. Von einer solchen Zahl ist die Fliegerei zum Glück weit entfernt. Sie wird gern als Argument gebracht, um unsichere Passagiere vor einer Reise zu beruhigen. Aber leider ist sie viel zu abstrakt, um wirklich zu überzeugen. Und der Passagier, der weiß, warum Flugzeuge fliegen und was sich hinter den Geräuschen und Beobachtungen an Bord verbirgt, ist darauf ohnehin nicht mehr angewiesen.

Aktuelle Ereignisse aus der Luftfahrt: www.youtube.com/c/AeroNewsGermany

Informationsportal zur Flugangst: www.gesundheit.gv.at