© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

„Gegner deutscher Irrationalität“
Zeitgeschichte: „Mein Vater Franz Josef Strauß“ heißt das Buch des Unternehmers Franz Georg Strauß. Dessen Erinnerungen zeigen den Senior auch als Projektsfläche für linken Haß und frühen Warner vor grünem Narrentum
Moritz Schwarz

Herr Dr. Strauß, „einer wie Ihr Vater fehlt heute“ – hören Sie diesen Satz häufig?

Franz Georg Strauß: Ja, erstaunlich oft kommen Leute auf mich zu und sagen das. Es freut mich natürlich, denn unsere Familie hat nach seinem Tod auch schon andere Zeiten erlebt – allein die Süddeutsche Zeitung ist ja mit Hunderten von Artikeln über uns hergefallen und hat so viele Vor- und Falschurteile befördert.   

Was ist mit negativen Reaktionen?

Strauß: Erlebe ich bezüglich meines Vaters heute gar nicht mehr. Zumindest Respekt gezollt wird immer.

Erstaunlich, denn zeitweilig wurde er bis ins linke Bürgertum hinein ja fast als eine Art „Hitler“ dargestellt – als ob mit seiner möglichen Wahl zum Bundeskanzler 1980 Deutschland eine neue Diktatur drohe.

Strauß: In der Tat haben sich einige damals extrem in ihr linkes Anti-Strauß-Bild hineingesteigert. Aber das hat sich zum Glück im Laufe der Jahre gemildert. Ich erinnere mich, wie wir im Badeurlaub 1984 auf den Journalisten Herbert Riehl-Heyse trafen, der später in einem Buch über die Begegnung sinngemäß schrieb: Sollte der Mann, der da neben mir im Wasser schwamm und doch so intensiv diskutierte, denn wirklich der Inbegriff des Bösen sein?

Inzwischen wird Ihr Vater von links mitunter sogar gelobt – Motto: Das war noch einer mit Kompetenz und Bildung, mit Ecken und Kanten, mit dem man streiten konnte! 

Strauß: Das stimmt. Ausgerechnet etwa Joschka Fischer hat ihn einmal in einem Interview als einen der „letzten Hardrocker“ der Politik bezeichnet – wozu sich Fischer selbst natürlich auch zählte. 

Das wirkt beinahe bizarr, wenn man bedenkt, wie haßerfüllt diese Leute zum Teil früher gegenüber Ihrem Vater waren. Hat sich eigentlich je einer bei Ihnen dafür entschuldigt?

Strauß: Das nicht, dennoch glaube ich, daß ihr Umdenken echt ist. Mir ist zum Beispiel berichtet worden, Helmut Schmidt habe im höheren Alter einmal mit Bedauern geäußert, daß inzwischen alle seine Freunde tot seien – und dabei auch den Namen meines Papas genannt. Obwohl sich beide zu Lebzeiten, wer sich an ihre Auseinandersetzungen erinnert, ja nun wirklich nicht als Freunde bezeichnet hätten.

Es ist natürlich nicht so, als hätte es an dem Politiker Strauß nicht berechtigt reichlich zu kritisieren gegeben – aber haben Sie eine Erklärung dafür, woher dieser enorme persönliche Haß auf Ihren Vater kam? 

Strauß: Zunächst gab es gerade von den damals gewichtigen Hamburger Magazinen ein künstliches Strauß-Bild – man baute ihn als das Böse auf, gegen das zu kämpfen geradezu moralische Pflicht sei. Der Alt-Nazi Henri Nannen, dessen Redakteure mit Görings Yacht schipperten und mit blindem Eifer die „Hitler-Tagebücher“ kauften und präsentierten, hat hier eine spezielle Rolle zur Kompensation seiner eigenen Vergangenheit gespielt, natürlich auch der diabolische Rudolf Augstein. An sie haben sich dann die Tagespresse und andere gehängt. 

Sie zitieren im Buch Ihren Vater mit den Worten, Deutschland stünde „vor der Entscheidung, auf dem Boden trockener, spröder, notfalls langweiliger bürgerlicher Vernunft und ihrer Tugenden zu bleiben – oder aber in das buntgeschmückte Narrenschiff Utopia einzusteigen, in dem Grüne und Rote die Rolle der Faschingskommandanten übernehmen“.

Strauß: Die Grünen haben das Subjektive als Maßstab in die Politik gebracht – danach ist entscheidend, daß man ein höheres Ziel will. Ob es sich überhaupt erreichen läßt oder was man mit seinem Vorgehen tatsächlich anrichtet, wird komplett ausgeblendet. Dies paßte aber so überhaupt nicht zu der Generation, die mein Papa repräsentierte, der streng objektiv im Sinne realistischer Notwendigkeit dachte. Dieser Realismus stieß bei den neuen Linken auf völliges Unverständnis – die die Einsicht ins Notwendige der älteren Generation als vorsätzlich bösen Willen mißverstanden. Dazu kommt, daß die Grünen gerne eigene Leute in höchste Staatspositionen befördern, die diese mit ihrer mangelnden Qualifikation, meist als Studienabbrecher, auf ehrlichem Weg nie erreichen könnten. 

Ist es fair, da nur auf die Grünen zu zeigen? Haben diese damit nicht inzwischen längst auch die anderen Parteien infiziert, die es ähnlich machen? 

Strauß: Natürlich gibt es auch Karrieristen in anderen Parteien: vom Hörsaal in den Plenarsaal – aber meist nach bestandener Prüfung, das ist der Unterschied zu den Grünen, bei denen Frau Göring-Eckardt sich von Anne Will als Theologin begrüßen läßt, obwohl sie das Studium abgebrochen hat. Noch ein Satz zum Subjektiven: Ich erinnere mich an einen Vortrag meines Vaters Mitte der achtziger Jahre in der Reihe „Reden über Deutschland“ – bei der auch Willy Brandt und andere sprachen –, in der er deutlich machte, daß er ein entschiedener Gegner der Irrationalität in der Politik sei: „Niemand unter unseren europäischen Nachbarn hat noch ein Interesse, wiederum an deutscher Irrationalität zu genesen oder sich von deutschen Hysterien und Ängsten anstecken zu lassen.“ Und was haben wir heute? Nach dem Tod meines Vaters schrieb Friedrich Karl Fromme in der FAZ: „Wer schlägt jetzt den Nagel in die Wand?“ Der letzte, der das noch versuchte, war Bundespräsident Roman Herzog. 

War diese Hinwendung zum Rationalen Ihres Vaters eine Reaktion auf die Erfahrung des Nationalsozialismus? 

Strauß: Weg von der zynischen Abkehr vom christlichen Sittengesetz und der Irrationalität! 

Wüßte man nicht, daß Sie über den Nationalsozialismus sprechen – könnte man dann nicht ebenso glauben, Sie sprächen von den Grünen oder Fridays for Future? 

Strauß: Nein. Sieht man in das Programm der Grünen, hat man ein Gebirge linker Programmatik vor sich, vor dem ein das bürgerliche Sentiment ansprechender irrationaler Ökonebel hängt. Nazivergleiche werden gerne als Totschlagargumente gebraucht, genau das mache ich nicht. 

Die Grünen sprechen etwa von „Gerechtigkeit“, meinen aber tatsächlich Gleichheit. Und die hat stets mit Überwachung und Zwang zu tun, denn wer sie will, muß Menschen zwingen, auf ihre Freiheit zu verzichten, die ja der beste Nährboden für Ungleichheit ist.   

Strauß: Zu weit hergeholt. Abgesehen davon: Mein Vater hat immer betont, daß er nicht für Chancengleichheit sei, sondern für Chancengerechtigkeit.

Bei einem Homo Politicus wie Ihrem Vater erwartet man eigentlich ein politisches Buch. Sie aber haben gerade das nicht geschrieben, sondern einen rein persönlichen Text. Warum?  

Strauß: Na ja, es findet sich in meinem Buch schon vieles über sein Denken und seine Handlungsweisen, und zwischen den Zeilen steht da manches, was man auf heute beziehen kann. Aber ich habe tatsächlich kein Buch nach dem Motto geschrieben: Was würde Franz Josef Strauß heute zu ... sagen? Obwohl sich das, wie ich gemerkt habe, offenbar viele Leute wünschen. Doch da ist man in Gefahr, die eigene Meinung als die seine zu verkaufen. 

Reizt es Sie nicht, wenn Sie gewisse Entwicklungen beobachten und sich sicherlich denken können, was Ihr Vater wohl dazu sagen würde? 

Strauß: Nicht in diesem Buch. Wissen Sie, neulich habe ich in ein Buch aus den Achtzigern von Franz Alt, darüber was Jesus heute sagen würde, hineingelesen: mit Schrecken! Denn, so mein Eindruck, tatsächlich hat der Autor seine Meinung unter fremder Flagge verkauft. Das wollte ich auf keinen Fall. Ich aber wollte daran erinnern, daß er auch Vater und Mensch war.

Wenn die Leute sagen, einer wie Ihr Vater fehlt heute, dann ist das doch ein politischer Kommentar: Es drückt Kritik an den politischen Zuständen heute aus – inklusive einer Kritik an CDU/CSU, die für diese maßgeblich mit verantwortlich sind, da sie ja von 2005 bis 2021 regiert haben. 

Strauß: Das mag sein, doch muß man bedenken, daß heute andere Verhältnisse herrschen. So gibt es zum Beispiel keine deutschen Heimatvertriebenen mehr oder kaum noch konservative Katholiken als politisch relevante und verläßliche Größen, die als Stammwähler für die Union eintreten. Dennoch aber sehe ich die CSU in guter Verfassung: Sie ist nach wie vor dominant, weil sie immer noch die Partei der Fläche ist, also in ganz Bayern Wurzeln hat und nicht nur in den großen Kommunen, wie SPD und Grüne. 

Das ist die bayerische Perspektive. Aber unter Ihrem Vater war die CSU eine Partei, die Bürger auch außerhalb Bayerns begeisterte. Es gab quer durch Deutschland sogenannte CSU-Freundeskreise und den Wunsch auch vieler Nichtbayern, sie möge eine größere Rolle in der Bundespolitik spielen. Das ist heute doch völlig verschwunden.

Strauß: Als Atomminister hat er die Atomforschung nach Deutschland gebracht, als Verteidigungsminister den Aufbau der Bundeswehr geschafft, als Finanzminister mustergültige Haushalte mit hohen Investitionen und Deckelung der Komsumausgaben durchgesetzt und als Oppositionspolitiker an der deutschen Einheit festgehalten. Da waren viele Punkte, denen man in ihrer Entschiedenheit auch außerhalb Bayerns zustimmen konnte. 

Ist nicht der wesentliche Faktor, daß die CSU früher für viele Deutsche jenseits des Mains eine konservative Hoffnung war – und das ist sie heute nicht mehr? 

Strauß: Sicher, die CSU war immer die Partei, die der Bundeswehr am nächsten stand. Wenn dann unter der Union die Bundeswehr bis auf die Felgen heruntergefahren wird, leidet natürlich dieser Anspruch. Auch der Ausstieg aus der Atomkraft weniger als 24 Stunden nach dem japanischen Reaktorunglück spricht natürlich eher für taktische als für strategische Fähigkeiten. Zum Plan B wurde dann russisches Gas – und jetzt finanzieren wir Putins Krieg. Die letzten Jahre waren hier politisch nur von Taktik bestimmt: wie nehme ich dem Gegner seine Trümpfe, wie schaffe ich, notfalls unter Aufgabe der eigenen Positionen, einen Kompromiß? Strategie war Fehlanzeige. Dazu kommt natürlich das Thema politischer Strukturwandel, das ich eben schon angesprochen habe, Stichwort Urbanisierung. Die CSU hat ihre legendären Mehrheiten immer auf dem Land geholt und schon früher nicht in den Großstädten – München, Nürnberg oder Augsburg waren schon zur Zeit meines Papas ein schwierigeres Pflaster. Und seitdem hat die Abwanderung vom Land in die Stadt noch zugenommen. Die Städter bauen alles zu, zum Ausgleich sollen die auf dem Land für die gesunde Natur sorgen. Die Städter ohne Nutztiere, Äcker, Bienen und Windräder wissen alles besser, sie instruieren aber die Leute auf dem Land, wie sie ihre Tiere behandeln, ihre Äcker düngen, Bienen halten und ihre Landschaft mit Windrädern vollzustellen haben. Aber die Städter sind nun mal eine wachsende Wählergruppe. 

Wollen Sie damit sagen, Politiker wie Ihren Vater kann es heute gar nicht mehr geben?

Strauß: Da muß man doch eher fragen, ob der beste Abiturient Bayerns heute in die Politik gehen würde? Theo Waigel wurde in den achtziger Jahren von Papst Johannes Paul II. nach meinem Vater gefragt, Waigel: „Strauß kämpft.“ Der Papst erwiderte: „Strauß kämpft immer.“ Wer würde das heute noch so tun? Heute haben wir Management by Meinungsumfrage. Schauen Sie doch mal, was es früher noch für ein Meinungsspektrum gab: vom streng linken Klaus Bednarz und seinem ARD-Politmagazin „Panorama“ bis zum konservativen Juden Gerhard Löwenthal und seinem „ZDF-Magazin“. So etwas wäre heute gar nicht mehr möglich. Ein Löwenthal, der ja gebetsmühlenhaft die deutsche Einheit beschworen – heute Allgemeingut! – und die Verbrechen des SED-Regimes dargestellt hat, wäre heute unvorstellbar. Der würde sofort gecancelt, beziehungsweise er käme gar nicht erst hoch. Stellen wir uns mal ein politisches Magazin vor, das die Ausbildung der Grünen, die tatsächliche Umweltbilanz von Elektroautos, Kernfusion etc. thematisieren würde … Leider muß man sagen, daß gerade die öffentlich-rechtlichen Medien mit ihrem einseitigen Themenkanon dafür sorgen, daß das Meinungsspektrum in Deutschland so verengt ist. Obwohl es ja gerade die Medien sind, die sich gerne beschweren, daß die Politik langweilig geworden sei und auch daß Köpfe wie Franz Josef Strauß fehlten. 






Dr. Franz Georg Strauß, ist der jüngste Sohn des ehemaligen Bundesministers, CSU-Chefs und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (1915–1988). Der 1961 in München geborene Jurist und Medienunternehmer veröffentlichte bereits 2008 ein Buch, das nun unter dem Titel „Mein Vater Franz Josef Strauß. Erinnerungen“ neu erschienen ist.