© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

Die Sprache des Regenbogens
Ein JF-Glossar der Politischen Korrektheit: Welche Begriffe Sie kennen müssen, um den herrschenden Zeitgeist zu verstehen
Zita Tipold / Björn Harms

Sprache ist längst kein neutrales Medium mehr. Nun, da die „woke“ Ideologie und mit ihr eine ganz eigene Rede- und Sprechweise im Westen die Oberhand gewinnt, wird es zunehmend schwieriger, den neuesten Debatten sinnerfassend zu folgen. Begriffe werden in den Diskurs geworfen, die mehr verwirren als tatsächlich aufklären – mitunter auch, weil die politische Linke genau diese Begriffsverwirrung anstrebt. Und doch ist es hilfreich, sich zumindest mit den Grundlagen der „woken“ Sprachwelt zu beschäftigen. Fangen wir also von vorne an. Was meint überhaupt „woke“?


Woke 

Im Grunde kann „Wokeness“ als die Heiligsprechung bestimmter ethnischer oder sexueller Identitätsgruppen definiert werden. Entlang dieser Leitlinien „erwacht“ ein Bewußtsein, das noch den kleinsten privaten Rückzugsort politisiert. Minderheiten dienen als heilige Totems, die nicht kritisiert oder gar beleidigt werden dürfen. Immer wieder fühlen sich „woke“ Angehörige bestimmter Minderheiten auch dazu berufen, für ihre gesamte Identitätsgruppe zu sprechen. Und so adressieren sie auch die weiße Mehrheitsgesellschaft als Ganzes, ohne jemals die sozialen Hintergründe des einzelnen Individuums zur Kenntnis zu nehmen. Diese Grundlage der „woken“ Ideologie nennt man auch Intersektionalität.


Intersektionalität 

Die intersektionale Perspektive will das Zusammenwirken mehrerer und zeitgleicher Unterdrückungsmechanismen verdeutlichen. Frei übersetzt: Es handelt sich um eine Opferhierarchie. Sind Sie ein alter, weißer Mann stehen Sie ganz unten in der Gesellschaftspyramide, da Sie laut „woker“ Logik niemals Rassismus, Sexismus oder andere Diskriminierungen erfahren haben. Als schwarzer Einwanderer hingegen – am besten sind Sie auch noch homosexuell oder Frau oder idealerweise beides – stehen Ihnen alle Türen offen.

BiPoc 

BIPoC wiederum ist ein Sammelbegriff für nicht-weiße ethnische Gruppen. Meist wird er von Schwarzen als Selbstzuschreibung verwendet. Er steht für „Black, Indigenous, People of Color“ und soll alle Personen umfassen, die unter dem angeblich strukturellen Rassismus westlicher Gesellschaften leiden.


Weißsein

Um nun aber weiße Personen ohne schlechtes Gewissen diskriminieren zu können, nutzt die „woke“ Ideologie einen Trick: Rasse wird nicht als biologisch-genetische Angelegenheit verstanden, sondern als sozial konstruiert. Wer die Konstrukteure sind? Natürlich die Europäer selbst. In einer strukturell-rassistischen Umgebung werden Personen durch Zuschreibungen und körperliche Merkmale „rassifiziert“ und ausgegrenzt. Dieser Prozeß geht mit der Unsichtbarmachung des „Weißseins“ („whiteness“) als einer neutralen und damit normierenden Position einher, die mit strukturellen Vorteilen und Privilegien verbunden ist („white privilege“).


Queer 

Neben ethnischen spielen in der „woken“ Gedankenwelt auch sexuelle und geschlechtliche Minderheiten eine gewichtige Rolle. Sie sammeln sich unter dem Begriff „Queer“, das vom deutschen Wort „quer“ abstammt. Es steht in Abgrenzung zur „Cis-Heteronormativität“, welche das vorherrschende Gesellschaftsmodell meint, nach dem die Mehrheit der Menschen heterosexuell und mit ihrem biologischen Geschlecht im Einklang lebt. „Queer“ löst zunehmend das Akronym „LGBTQ“ ab, das die verschiedenen Orientierungen zunächst einzeln aufzählte („Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer“). Da nach und nach immer mehr Buchstaben, etwa für Inter- und Asexuelle, hinzukamen, wurde der Begriff immer länger und sperriger.


Flinta 

Hierunter fallen „Frauen, Lesben, Intersexuelle, nicht-binäre, Transgender und Agender (geschlechtslose Personen)“. Es ist in weiten Teilen eine deutsche Variante zum amerikanischen Begriff LGBTQ, bezieht aber auch Frauen mit ein, die keiner geschlechtlichen oder sexuellen Minderheit angehören. Das sorgt bei vielen Feministinnen der alten Garde für Unmut, da Frauen nur noch eine von vielen Gruppen sind, um die sich dieser Feminismus bemüht.


Terf 

Jene alt-linken Feministinnen werden von der jüngeren Generation deshalb als „Terfs“ bezeichnet. Das Akronym steht für „Trans-Exclusionary Radical Feminist“ (Trans-Ausgrenzende radikale Feministin). Der Begriff meint also Frauenrechtlerinnen, die Transsexuelle aus ihrem Kampf ausklammern und sich explizit auf die Sorgen und Nöte biologischer Frauen konzentrieren. Sie unterscheiden sich in diesem Punkt von „Queer“-Feministinnen, die den Kampf um Frauenrechte für jeden führen, der sich bloß als Frau fühlt. Letztere werfen klassischen Feministinnen wie Alice Schwarzer „Transfeindlichkeit“ vor und verwenden den Begriff „Terf“ als Beleidigung und Stigmatisierung.


Deadnaming

Auch bei anderen Dingen kann die queere Community ungemütlich werden: Wechseln Transpersonen ihr empfundenes Geschlecht, ändern sie meist auch ihren Vornamen. Die alte Identität ist tot. Wagt es jemand, sie mit ihrem früheren Vornamen anzusprechen, lautet der Vorwurf: „Deadnaming“. Im neuen Selbstbestimmungsgesetz, das die Bundesregierung derzeit plant, könnte ein Passus eingeführt werden, der Deadnaming unter Strafe stellt.


Ally

Insofern ist es besser, ein „Ally“ zu sein, ein Verbündeter. Er oder sie gehört keiner Minderheit an, solidarisiert sich aber mit diesen und hinterfragt tagtäglich seine eigenen Privilegien.


Token

Als noch schlimmer gelten den Aufgeklärten nur prominente Migranten oder schwarze Menschen, die sich partout weigern, der „woken“ Gesellschaftskritik anzuschließen. Mitunter ist es dann wieder erlaubt, von „Quotenschwarzen“ oder „Onkel Toms“ zu sprechen. Sich für die deutsche Mehrheitsgesellschaft einzusetzen oder sie gar vor der „woken“ Moralpredigt in Schutz zu nehmen, gilt als verpönt.

Kulturelle Aneignung

Überhaupt ist die Trennung zwischen verschiedenen Identitätsgruppen in der „woken“ Ideologie äußerst streng. Wenn etwa Personen westlicher Prägung bestimmte Bestandteile und Errungenschaften einer anderen Kultur nutzen und sich aneignen, spricht man von „Cultural Appropriation“ (Kulturelle Aneignung). Weiße, die sich als Indianer verkleiden oder Reggaemusik spielen, schüren also Verärgerung bei „woken“ Glaubenskriegern. Doch natürlich funktioniert diese Logik nur in eine Richtung, nämlich in die anti-westliche. Denn daß die halbe Welt europäische Erfindungen nutzt, darüber regt sich bekanntlich (zu Recht) niemand auf. 


Groomer

Gleichzeitig gibt es auch Begriffe, die im Kulturkampf von rechts eingeführt wurden. Als Groomer werden im Englischen Personen bezeichnet, die eine vertrauensvolle Beziehung und eine emotionale Bindung zu einem Kind oder Jugendlichen aufbauen, um es zu manipulieren, auszubeuten und möglicherweise physisch oder psychisch zu mißbrauchen. Den Schmähbegriff nutzen mittlerweile viele konservative Kritiker in den USA, um queere Aktivisten oder gar Lehrer zu beschreiben, die bereits Kindergartenkindern mit allen Mitteln ihre Ideologie aufdrängen wollen. Mitunter bestärken diese junge Menschen darin, daß man beliebig das Geschlecht wechseln könnte oder es nützlich wäre, gefährliche Medikamente wie Pubertätsblocker einzunehmen.


Trigger-Warnungen

Der Begriff „Trigger“ stammt ursprünglich aus der Traumatherapie. Er umfaßt Anreize, die sensible Gemüter erregen und Traumata auslösen könnten, also bestimmte Szenen oder Bilder, aber auch diskriminierende Sprache oder rassistische Äußerungen. Immer häufiger werden Büchern und Serien sogenannte „Trigger-Warnungen“ vorangestellt. In vielen westlichen Universitäten sind die Dozenten verpflichtet, diese Warnungen auf der Leseliste für das Semester mit anzugeben. Mitunter fordern „woke“ Studenten ihnen unliebsame Werke gleich ganz zu canceln.

Cancel Culture 

Cancel Culture meint eine besonders aggressive Form der Stimmungsmache gegen Andersdenkende. Wer eine unliebsame politische Meinung vertritt oder sich politisch inkorrekt äußert, soll nach dem Willen von zumeist „woken“ Linken und Linksliberalen sozial geächtet beziehungsweise „gecancelt“ werden. Es geht ihnen darum, politische Gegner im öffentlichen Diskurs mundtot zu machen.





Der Flaggenkrieg

Nicht nur die zahlreichen „woken“ Begriffe sorgen für Verwirrung. Auch die Wahl der richtigen Flagge kann für Unstimmigkeiten sorgen. Die seit 1978 von der Schwulen- und Lesbenbewegung genutzte Regenbogenflagge gilt vielen Progressiven längst nicht mehr als vielfältig genug, da sie nicht genügend Minderheiten repräsentiere. Vor knapp vier Jahren entwarf der „non-binäre“ Künstler Daniel Quasar also eine neue „Fortschrittsflagge“ („Progress-Pride-Flag“), die neue Farben hinzufügte. Schwarze und braune Streifen sollen künftig auf die Diskriminierung schwarzer und brauner Menschen aufmerksam machen; Rosa, Hellblau und Weiß künftig Transsexuelle, nicht-binäre Geschlechter und Intersexuelle repräsentieren. Pünktlich zum Christopher Street Day in Berlin am 23. Juli wollte auch die grüne Bundesfamilienministerin Lisa Paus zeigen, wie „woke“ sie ist. Paus hißte am Ministerium die neue Fortschrittsflagge. Das Problem: Sie tat es ohne Genehmigung. Das zuständige Innenministerium hatte lediglich die normale Regenbogenflagge erlaubt. Es dürfe nicht „beliebig geflaggt werden“. Wobei man sich natürlich fragen kann, was die Regenbogenfahne dort überhaupt zu suchen hat. Familienministerin Paus zeigte sich jedenfalls unbeeindruckt. Sanktionen für falsches Flaggen gibt es nicht, die Fortschrittsflagge blieb bis vergangene Woche sichtbar. (ha)