© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 32/22 / 05. August 2022

Explosiv, wie kurz vor der Französischen Revolution
Niederlande: Der Streit zwischen den Landwirten und der Regierung nimmt kein Ende / Starkes Bevölkerungswachstum durch Einwanderung
Mina Buts

Die Stimmung in den Niederlanden wird zunehmend grimmiger. Der bekannte Richter, TV-Moderator und Schriftsteller Frank Visser sieht die Niederlande gar in einer Situation, die mit der kurz vor der Französischen Revolution vergleichbar ist. Vergangene Woche brannten Mistberge auf den Autobahnen, die Wortführerin der Bauern-Bürger-Bewegung (BBB), Caroline van der Plas, erhält Morddrohungen und die Regierung lud für das Vermittlungsgespräch mit den Landwirten in der kommenden Woche nur jene Bauerngruppierung ein, die ihr ohnehin eher wohlgesonnen ist.

Die radikale Farmers Defence Force (FDF) ist dabei nicht erwünscht. Eine von ihr angemeldete Demonstration während des berühmten Viertagemarsches in Nijmegen wurde von der Stadt nicht genehmigt. Einem freundlich gesinnten Bauern war es zu verdanken, daß die FDF auf einem an der Marschroute liegenden Grundstück dann doch die vorbeimarschierenden 40.000 Teilnehmer mit regionalen Produkten wie Bier, Milch, Käse, Bratwurst und Obst versorgen konnte. 

Marc van den Oever, Chef der FDF, erklärte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT: „Wir wollen nicht immer nur mit Störaktionen auffallen, sondern auch zeigen, wie wertvoll unsere regionalen Produkte sind.“ Und sein Stellvertreter Jos Ubels äußerte sein Unverständnis über die aktuelle niederländische Bauernpolitik: „Wir arbeiten hocheffizient. Für jeden Hektar, der hier bewirtschaftet wird, müßte im Ausland ein Vielfaches an Fläche herhalten.“

In den Niederlanden ist der Kampf um das eigene Land voll entbrannt. Ein explosionsartiges Bevölkerungswachstum sorgte dafür, daß die Einwohnerzahl von 11,5 Millionen (1960) auf jetzt 17,5 Millionen gestiegen ist – Tendenz weiter zunehmend. Die Bevölkerungsdichte ist mit 423 Einwohnern pro Quadratkilometer fast doppelt so hoch wie in Deutschland. Versorgungsengpässe gibt es bei Infrastruktur und Wohnraum. In Amsterdam kämpfen Schulen, Betriebe und Wohnungsbaugesellschaften seit Monaten um Stromversorgungsverträge, die ihnen nicht mehr gewährt werden können. Sozialer Wohnraum wird in Den Haag und Utrecht seit einigen Wochen nur noch an Nicht-Niederländer vergeben. 

Viehwirte haben  keine gute Lobby hinter sich 

Der agrarpolitische Sprecher des Forums für Demokratie, Gideon van Meijeren, bringt es im Gespräch mit der JF auf den Punkt: „Wir haben es in den Niederlanden mit einem massiven Bevölkerungswachstum durch Einwanderung zu tun. Das ist der Grund, warum die Regierung nun an das Land der Bauern will.“ Und Viehwirte, so van Meijeren, seien hierbei am angreifbarsten. Tierzüchter hätten keine große Lobby und kein gutes Ansehen, die Massentierhaltung – durch die Auflagen der EU in vielen Fällen erst verursacht – schon gar nicht.

Dabei sind die Niederländer der zweitgrößter Lebensmittelproduzent der Welt. In den Bereichen Gewächshäuser, Saatveredelung, Milchroboter und Stalleinrichtung sind sie weltweit führend. So ist es der niederländischen Firma Agriterra gelungen, die Kartoffelausbeute pro Hektar in dem notorisch vom Hunger bedrohten Ruanda zu versechsfachen. Doch die EU-Bürokratie und die eigene Regierung sind zum großen Erstaunen vieler Experten nun dabei, diese extrem effiziente Landwirtschaft zu zerstören. Die amerikanische Zeitschrift Newsweek bezeichnet die Niederlande als „Ernährungssupermacht“, deren Rolle noch nie so wichtig gewesen sei wie heute. „Unbegreiflich“, so der US-amerikanische Politologe Andrew Michta, sei es, daß der Umweltschutz mittlerweile höher bewertet werde als eine sichere Lebensmittelversorgung.